Light takes the tree, but who
can tell us how?
Theodore Roethke
Zunächst war es nur ein
gewöhnlicher nasser Regen, unangenehm, aber ansonsten nichts
besonderes. Doch je tiefer sie in den Wald drangen, desto
stärker regnete es. Es war ein kalter Regen, vermischt mit
kleinen Eisstücken, und die Bäume boten keinen Schutz vor
ihm. Inzwischen war Lonnìl bis auf die Haut
durchnäßt und fror.
Er zog seinen Mantel fester zusammen, als ob der vollgesogene
Stoff ihm noch irgendwelchen Schutz bieten konnte.
Unwillkürlich klapperte er mit den Zähnen. Seit er einmal
als Kind in einem zugefrorenen See eingebrochen war und scheinbar
endlose Momente im eisigen Wasser zugebracht hatte, war ihm nie
mehr derartig kalt gewesen. Vor Schnee und Frost konnte man sich
mit Wolle oder warmen Fellen schützen, aber in diesem Regen
hätte es nicht einmal einen Unterschied gemacht, wenn
Lonnìl nackt gewesen wäre. Er war ihm hilflos
ausgeliefert.
Den anderen schien der Regen nicht ganz soviel auszumachen. Die
Elfen waren zwar naß, aber entweder waren sie an dieses
Wetter gewöhnt, da sie ihr ganzes Leben im Freien verbracht
hatten, oder sie wußten von einer Methode, den kalten Tropfen
auszuweichen und zwischen ihnen hindurch zu gehen - sie hielten
ihre Köpfe aufrecht, und ihre nassen Haare schienen sie nicht
weiter zu stören. Morren hatte einen Zauber eingesetzt, der
verhinderte, daß sein Körper auskühlte - leider
konnte er ihn nur an sich selbst anwenden. Und Felder hielt sich
auf seine eigene Weise zumindest innerlich warm. Außerdem war
er damit beschäftigt, auf Morren einzureden.
»Ich begreife nicht, warum du dich so stur stellst,
Zauberer. Du könntest diesen Regen aufhören lassen, wenn
du wolltest.«
»Selbst, wenn ich es könnte, würde ich es nicht
tun«, antwortete Morren geduldig. »Kein Zauberer, ganz
gleich, wie mächtig er ist, darf in die natürliche
Ordnung eingreifen.«
»Dieser Regen ist ganz sicher nicht natürlich. Kein
natürlicher Regen kann derart eklig kalt sein. Wenn du mich
fragst, steckt da eine Absicht hinter. Vermutlich sind es wieder
diese Dunklen, die uns ärgern wollen.«
Aber der Zauberer lachte nur und schien nicht weiter auf das, was
Felder sagte, zu achten. Lonnìl kannte den Prinzen
inzwischen gut genug, um zu wissen, was als nächstes kam:
Felder würde jetzt versuchen, ihn als Verstärkung zu
gewinnen. Als ob der Regen nicht schon reichte!
»Was soll ich nur machen? Er will nicht auf mich
hören!« jammerte Felder nun auch wirklich. »Den
Spitzohren mag es ja vielleicht nichts ausmachen, aber wir sind
Menschen, und wir sind für solches Wetter nicht
geschaffen.«
Lonnìl schenkte ihm einen mitleidigen Blick. Er wollte ja
auch, daß der Regen aufhörte. Aber vor allem wollte er
jetzt seine Ruhe. Felder mußte seine klappernden Zähne
bemerkt haben.
»Du Armer, du frierst ja noch mehr als ich! Du wirst dich
noch furchtbar erkälten, das sage ich dir … Ich bin
doch zu dumm! Es reicht ja für uns beide. Von mir aus
können die Elfen frieren, aber dann haben zumindest wir es
warm, wenn wir schon so naß werden müssen.«
Er nahm selbst noch einen Schluck, dann streckte er ihm die
Flasche hin. Normalerweise hätte Lonnìl verärgert
abgelehnt, aber jetzt war er dankbar für jede
Möglichkeit, der Kälte zumindest kurzfristig zu
entkommen. Er fragte lieber nicht genau, was das Zeug in der
Flasche war. Es brannte viel zu stark in seinem Hals, als daß
er irgendeinen bestimmten Geschmack hätte ausmachen
können, und es nahm ihm fast den Atem. Felder sah seinem
Hustenanfall sichtlich amüsiert zu, und Lonnìl
hätte ihm für seinen selbstgefälligen
Gesichtsausdruck am liebsten die Flasche an den Kopf geworfen. Aber
in einem Punkt mußte er ihm trotzdem recht geben: Es
wärmte ihn schon irgendwie.
»Der Trick besteht darin, immer nur ein bißchen zu
trinken«, erklärte Felder hilfsbereit, nachdem er ihm
auf den Rücken geklopft hatte. »Wir können die
Flasche jetzt auch gemeinsam alle machen, und dann wäre uns
der Regen weitgehend egal. Aber dann sind wir aufgeschmissen, falls
wir morgen noch mal in so einen Guß kommen. Und ich bin mir
nicht sicher, wieviel du überhaupt verträgst. Ich kann
dich nicht alleine tragen, und irgendwie glaube ich nicht,
daß einer von denen mit anfassen würde. Aber ansonsten -
du kannst gerne noch einen Schluck haben, wenn du mir etwas
übrig läßt. Ich bin diesen Regen leid.«
Lonnìl schüttelte den Kopf und gab ihm die Flasche
zurück. Die Wärme in seinem Bauch genügte ihm
fürs Erste. »Danke auch«, murmelte er. Dann erst
bemerkte er den Blick des Zauberers, der auf ihm ruhte.
»Du also jetzt auch?« fragte Morren nur und sah ihm in
die Augen. Schlagartig fiel Lonnìl ein, daß auch
Schwinge es gesehen haben konnte, und er hoffte, daß sie
nichts bemerkt hatte.
»Euch muß wirklich ziemlich kalt sein«, fuhr der
Zauberer fort. »Ich vergesse immer wieder, daß ihr
Menschen nicht mit der, sondern gegen die Natur lebt.
Und ich möchte nicht, daß ihr beiden irgendwelche
… Dummheiten macht. Felder soll von dir lernen,
Lonnìl, nicht du von ihm! Ich kann den Regen zwar nicht
aufhören lassen, aber wäre euch geholfen, wenn ich euch
zu einer Höhle führe?«
Felder und Lonnìl nickten eifrig.
»Wenn du hier von einer Höhle weißt, Morren, dann
verstehe ich nicht ganz, warum du uns noch nicht längst zu ihr
geführt hast, statt uns durch den Regen laufen zu
lassen«, stimmte Keil zu. »Wir sind nur naß, aber
die Menschen sehen ziemlich mitgenommen aus.«
Damit war es entschieden. Morren zog seine Kristallkugel hervor.
»Jetzt weiß ich wieder, wo die Höhle ist«,
sagte er. »Folgt mir.«
Lonnìl hatte das Gefühl, als mache sich der Zauberer
über irgend etwas Sorgen. Er hatte gezögert, was die
Höhle anging, so als sei er nicht sicher, ob sie wirklich ein
geeigneter Ort für die Gruppe war. Aber egal, was für
Gefahren dort auch lauern mochten - alles war besser als dieser
furchtbare Regen.
Sie kamen so plötzlich an eine Felswand, in der ein dunkles
Loch gähnte, als habe Morren sie gerade in diesem Moment erst
erschaffen. Lonnìl spürte, wie die Kälte wieder
nach ihm griff.
»Da wären wir. Es ist hier trocken und wärmer als
draußen. Aber bleibt im vorderen Bereich der Höhle,
Menschen! Was immer ihr im hinteren Teil zu sehen glaubt -
verschwendet keinen Gedanken daran!«
Lonnìl hatte jetzt sowieso keine Lust, sich irgendwelche
Gedanken über das Innere der Höhle zu machen. Ihm ging es
jetzt nur darum, daß es hier drinnen nicht mehr regnete.
Außerdem war es sowieso zu dunkel, um irgend etwas sehen zu
können. Aber es war ein gutes, angenehmes Dunkel, nicht so
verzehrend wie das, aus dem sie entkommen waren. Nur ein Leuchten,
das wahrscheinlich von der Hand des Zauberers ausging, verbreitete
etwas Licht. Erschöpft ließ sich Lonnìl auf den
harten Boden fallen. Es war doch ziemlich anstrengend gewesen,
stundenlang durch den Regen zu laufen, und wahrscheinlich
hätte er auch besser nichts von Felders Schnaps genommen. Er
trank nur selten etwas, das stärker war als Dünnbier, und
fühlte sich ein wenig benommen. Felder mußte in der Tat
eine Menge vertragen, denn bei allem, was er seit Beginn des Regens
geschluckt hatte, bewegte er sich doch nur ein bißchen
unsicher. Lonnìl schloß die Augen. Bis ihre Kleider
getrocknet waren, würde es noch einige Zeit dauern. Vielleicht
konnten sie ein Feuer anmachen?
Lonnìl schreckte aus dem Halbschlaf hoch, als Felder seinen
nassen Umhang mit einem Klatschen weniger auf den Boden als mehr
auf ihn warf.
»Eine Höhle«, hörte er den Prinzen zufrieden
murmeln, »das lasse ich mir gerne gefallen. Ich habe
Höhlen immer schon gemocht. Und sie scheint tief in den Fels
hineinzureichen. Vielleicht führt sie unter dem ganzen
vermaledeiten Wald hindurch, und wir müssen überhaupt
nicht in den Regen zurück? Es wäre einen Versuch wert
…«
»Du bleibst bei uns!« befahl Morren streng.
»Schon gut, schon gut!« Aber Felder war nur einen
Augenblick still, und er legte sich auch nicht hin. »Ich
wüßte nur zu gerne, von wo dieses Licht dort
kommt.« Dann klapperte etwas, so als sei jemand beim Laufen
gegen Kieselsteine getreten. Lonnìl öffnete die Augen,
als jemand seinen Arm unsanft packte. Es war Morren.
»Komm schnell, wir müssen ihm folgen! Dieser
leichtsinnige Mensch ist in die Höhle hineingelaufen. Jetzt
macht er wirklich einen Fehler!«
»Ich wüßte nicht, wann er einmal keinen Fehler
gemacht hätte«, sagte Schwinge. Aber sie folgte trotzdem
dem Zauberer, als der durch die Höhle eilte. Jetzt konnte auch
Lonnìl sehen, daß das Leuchten nicht von Morren
ausging, sondern vom hinteren Ende der Höhle kam. Eine
große Anziehungskraft ging von ihm aus. Lonnìl
mußte einfach wissen, was es war! Eine derartige Neugier
hatte ihn gepackt, daß er am liebsten
vorwärtsgestürmt wäre, aber das Wissen um Schwinges
Blick in seinem Nacken hielt ihn zurück. So kam es ihn nun
vor, als näherten sie sich nur langsam, ganz langsam dem
Leuchten, das immer stärker wurde.
Sie näherten sich dem Licht bis auf wenige Schritte, aber den
Grund für das Strahlen konnten sie nicht ausmachen. Sie sahen
nur Felders schwarze Umrisse, der es verdeckte. Aber obwohl der
Mann direkt davor stand, fiel doch nichts von dem Licht auf ihn. Er
starrte in die Lichtquelle, ohne sich zu rühren. Die Elfen und
der Zauberer blieben stehen, und auch Lonnìl wußte,
daß es jetzt falsch gewesen wäre, weiterzugehen. Aber er
konnte nicht anders. Das Licht zog ihn an.
»Kommt zurück, ihr Narren!« rief der Zauberer.
»Faßt es auf keinen Fall an!«
Aber als Lonnìl sah, was da leuchtete, verging sein
Interesse schnell. Es war ein Schwert, was ihn nur daran erinnerte,
daß er seines zusammen mit seinem Umhang vorne in der
Höhle ziemlich achtlos zu Boden geworfen hatte. Felders Augen
leuchteten und waren fest auf die Klinge gerichtet.
»Ein Schwert!« flüsterte er. »Das
schönste, das jemals geschmiedet wurde! Und es hat nur auf
mich gewartet.«
Es sah wirklich so aus, als habe Felder tatsächlich einen
prächtigen Ersatz für seine verschenkte Waffe gefunden.
Das Schwert hing reglos in der Luft, und Felder brauchte es nur zu
nehmen. Im nächsten Moment wurde Lonnìl schlagartig
klar, was dort nicht stimmte. Normale Schwerter schwebten nicht
leuchtend über schwarzen Steinklötzen in Höhlen. Und
jetzt, als ob ein Bann von ihm abfiel, hörte Lonnìl
auch wieder das Rufen von Morren und den Elfen. Felder schien die
Warnungen nicht zu hören. Er streckte die Hand aus, um das
Schwert zu berühren. Das durfte er nicht!
»Nein!« schrie nun auch Lonnìl.
»Faß es nicht an!«
Für einen Moment verharrte Felders Hand zitternd in der Luft,
aber dann bewegte sie sich ganz langsam weiter vorwärts. Es
schien, als befände sich Felder in einer anderen Zeit, in der
es nur ihn und das Schwert gab. Lonnìl hatte das
Gefühl, sich selbst überhaupt nicht rühren zu
können. Er konnte nichts tun. Und sein Herz, das er eben noch
fast hatte klopfen hören, war plötzlich kaum noch zu
spüren, bis auf vereinzelte Schläge. Dann begriff
Lonnìl: Felders Zeit lief nicht langsamer als seine - sie
lief viel schneller. Der Schrei blieb in Lonnìls Hals
stecken. Ohnmächtig mußte er zusehen, wie Felders Finger
nur noch wenige Zoll weit vom Knauf des Schwertes entfernt waren.
Er wußte nicht, was passieren würde, wenn sie sich darum
schließen würde. Aber eine Vorahnung sagte ihn,
daß es etwas Schreckliches sein mußte.
Dann brach die Zeit um sie herum zusammen. Ein plötzlicher
Schlag, einem Blitz gleich, traf Felder nur einen Augenblick, bevor
er das Schwert berührte. Felder stürzte zur Seite und
riß Lonnìl gleich mit von den Beinen. Der Bann war
gebrochen.
Fluchend hockte Felder am Boden und rieb sich seinen Schädel.
Der Schlag schien ihn wieder etwas ernüchtert zu haben.
»Hätte euch ein simples ‘Nein!’ nicht
gereicht?«
Wütend griff er nach einem der umliegenden Gegenstände
und wollte ihn zurückwerfen. Dann aber fiel sein Blick darauf,
und er stutzte. »Knochen«, sagte er nur. Er blickte den
Schädel einen Moment lang versonnen an, dann legte er ihn
beiseite. »Niemand, den ich kannte.«
»Du wärest auch bald Knochen, wenn du das Schwert
berührt hättest!« sagte Morren. »Warum kannst
du nicht einmal machen, was man dir sagt?«
»Es tut mir leid«, murmelte Felder zerknirscht.
»Ich weiß auch nicht, was da über mich gekommen
ist. Ich habe das Licht gesehen und mußte hin. Und dann war
da dieses Schwert … Hört mal, ihr seht das Schwert doch
auch. Und dann begreift ihr nicht, daß ich es haben
muß? Es ist doch nicht mit Lonnìls mickrigem
Kurzschwert zu vergleichen! Es ist aus Silber und unglaublich
gearbeitet, und selbst ich muß zugeben, daß kein Mensch
etwas derartiges erschaffen kann … Und es hängt einfach
in der Luft und wartet darauf, daß man es pflückt
…«
Diesmal gelang es Lonnìl, sich rechtzeitig auf Felder zu
werfen und ihn am Boden zu halten, denn er hatte schon wieder die
Hand nach dem Schwert ausgestreckt, während er die anderen
durch sein Reden wohl abzulenken versuchte.
»Laß mich los!« rief Felder und schlug und trat
um sich. »Du wirst das Schwert doch kaum für dich haben
wollen? Du benutzt ja nicht einmal meines! Und ihr anderen
könnt es auch nicht haben. Es ist ein Schwert für
Menschen.«
»Damit hast du vollkommen recht«, sagte Morren
erstaunt. »Dies ist Glan’tuèl. Die Hohen haben
es für die Menschen gemacht. Aber woran hast du das
erkannt?«
»Mit Schwertern kenne ich mich eben aus. Es hat auch nur
mich und Lonnìl angezogen, die Elfen nicht. Darf ich es
jetzt haben?«
»Nein. Es ist nicht für dich bestimmt. Ein sterbender
König vertraute es der Höhle an, und dort wartet es auf
den Richtigen. Aber dieser Richtige bist du nicht. Wenn du
Glan’tuèl berührt hättest, Felder, dann
hätte es sich ganz langsam in den Stein gesenkt. Und du
hättest es nicht mehr loslassen können. Wenn du mir nicht
glaubst - warum wohl, meinst du, liegen hier so viele Knochen
herum? Wenn der Falsche das Schwert zu nehmen versucht, so stirbt
er eines langsamen, qualvollen Todes. Er verhungert. Und das ist es
doch wohl nicht, was du willst, oder?«
Felder, dessen Augen noch immer sehnsüchtig auf das Schwert
gerichtet waren, schluckte. »Darauf kann ich gerne
verzichten. Und was noch mehr ist, ich glaube dir sogar.«
»Gut. Dann laß ihn jetzt los, Lonnìl. Ihr geht
jetzt wieder in Richtung Ausgang, und da legt ihr euch hin und
schlaft. Ihr werdet das Schwert ganz schnell vergessen.«
»Aber wenn ich es berührt hätte«, fragte
Felder, »dann hättest du mich doch irgendwie losmachen
können?«
»Ja, das hätte ich vielleicht. Aber wie hätte es
dir gefallen, in Zukunft mit nur noch einem Arm
herumzulaufen?«
Das Schwert über dem Stein
Keil Unbehagen ein, und er wollte so schnell wie möglich fort.
Der Gedanke, was es mit all den Menschen angestellt hatte, die
versuchten, es zu nehmen, war entsetzlich. Aber Morren hielt ihn
und Schwinge zurück.
»Ich muß mit euch reden, vor allem mit dir,
Keil.« Er sagte es in der Hohen Sprache, damit die Menschen
ihn nicht verstanden. Aber Schwinge unterbrach ihn hitzig.
»Weißt du nicht, daß es verboten ist, Lügen
über die Hohen zu erzählen?«
»Es ist keine Lüge, meine Freunde, auch wenn ihr es
vermutlich nicht glauben wollt. Die Hohen selbst haben dieses
Schwert gemacht für die Menschen.«
»Aber das kann nicht sein! Die Hohen verschwanden, lange
bevor die ersten Menschen kamen!«
Und warum sollten sie ausgerechnet für Menschen ein Schwert
machen?
»Es gab vorher schon Menschen, an anderen Orten. Aber ich
kann es euch jetzt nicht erklären. Ihr seid noch nicht so
weit, daß ihr es verstehen würdet, vor allen du nicht,
Schwinge. Für euch gilt das selbe wie für die Menschen:
Vergeßt das Schwert! Aber ich wollte mit euch über etwas
anderes reden. Es geht um Felder.«
»Ich mache mir Sorgen um ihn«, sagte Keil. »Er
hat sich verändert, seit wir bei den Dunklen waren. Er ist
noch leichtsinniger geworden.«
»Und er trinkt auch mehr als früher«, fügte
Schwinge angeekelt hinzu. »Nehmt heute, zum
Beispiel.«
»Ihr habt Recht, aber das meinte ich nicht einmal«,
sagte Morren, und seine Stimme klang bedrückt. »Es geht
mir um folgendes: Wie ihr gemerkt habt, habe ich lange
gezögert, bevor ich euch von der Höhle erzählt habe.
Ich kenne sie von früher, und ich weiß, was das Schwert
für eine Anziehungskraft auf Menschen ausübt. Deswegen
wollte ich es eigentlich nicht riskieren. Aber dann dachte ich, es
reicht aus, wenn ich die Menschen kurzerhand schläfrig mache.
Deswegen habe ich auch nicht so sehr auf Felder geachtet, bis ich
merkte, daß er losgelaufen war. Der Zauber hat nicht bei ihm
funktioniert. Dabei wäre es normalerweise ein Leichtes, ihn
schlafen zu lassen, vor allem heute, da er, wie du schon so richtig
bemerktest, einiges getrunken hatte. Aber er ist wach geblieben.
Und als sie beide vor dem Schwert standen, konnte ich nur
Lonnìl erstarren lassen. Auch dieser Zauber hat bei Felder
nicht funktioniert. Sonst hätte ich ihn kaum mit einem scharf
geschleuderten Schädel zu Boden schlagen müssen. So etwas
ist mir vorher noch nie passiert. Meine Zauber funktionieren immer.
Es muß an Felder liegen.«
»Vielleicht kann man ihn einfach nur schwer
verzaubern?« schlug Schwinge vor.
»Ich habe ihn schon oft genug verzaubert, und es war nie ein
Problem. Und sagt nicht, daß mein Zauber versagt hätte.
Ihr wißt, daß meine Zauber nie ihr Ziel verfehlen. Ich
befürchte, es könnte mit den Dunklen zusammenhängen.
Sie haben etwas mit ihm gemacht, daß ihn vor Zauberei
schützt.«
Keil überlegte einen Augenblick lang. Der Bericht des
Zauberers hatte ihn auf einen Gedanken gebracht, der sich nicht
bewahrheiten durfte. Aber es konnte nicht sein! Es war
unmöglich! Er ging zum Ausgang, wo die beiden Menschen lagen.
Keil zog seine Flöte hervor und begann für Felder zu
spielen.
Sag mir deinen Namen, sagte die Flöte. Ich würde
mich freuen, wenn du mir sagtest, wer du bist.
Aber es kam keine Antwort.
Bedrückt ging Keil zu Schwinge und Morren zurück.
»Ich weiß nicht genau, wie ich es euch sagen soll
…« begann er. »Ich habe gerade noch einmal
für Felder gespielt, um seien Namen zu erfahren, aber …
er hat keinen.«
»Willst du damit sagen, daß er jetzt sogar gegen dein
Spiel resistent ist?« fragte Morren.
»Nein … ich will sagen, daß Felder keinen Namen
mehr hat. Er hat ihn an die Dunklen verloren.«
»Das ist ja schrecklich!« rief Schwinge aus, und
Entsetzen stand in ihrem Gesicht. »Aber - das ist doch
vollkommen unmöglich! Wer seinen Namen verliert, muß
sterben. Woher weißt du, daß Menschen überhaupt
Namen besitzen?«
»Alles was lebt hat Namen«, flüsterte Keil.
Plötzlich bekam er angst vor dem, was aus Felder geworden war
- ein Mann ohne Seele? »Ich weiß genau, daß
Felder einen Namen hatte. Er hieß Dhelin. Aber er hat ihn
verloren. Ich begreife es selbst nicht.«
»Aber ich «, sagte Morren. »Erinnert euch, was
die Dunklen gesagt haben. Alles, was ihm gehört. Felder
hat alles, was ihm gehörte, an die Dunklen verloren. Auch
seinen Namen. Darum hätte er eigentlich für alle Zeit bei
den Dunklen bleiben müssen. Aber eines hat ihn gerettet, und
das war die Tatsache, daß er seinen Namen nicht benutzte. Er
war nie wirklich Dhelin, sondern immer nur Felder. Aber den Namen
Felder hat er sich selbst gegeben. Er gehörte ihm eigentlich
nicht. Darum konnte er ihn behalten. Das ist es, was ihn noch am
Leben hält. Faktisch hat er keinen Namen mehr.«
»Es ist ihm also doch gelungen, die Dunklen
hereinzulegen«, sagte Schwinge, und es klang fast so, als
bewunderte sie Felder ein wenig. »Sie müssen doch damit
gerechnet haben, daß sie ihn bekommen. Und jetzt läuft
er statt dessen unter falschem Namen herum. Werden wir es ihm
sagen?«
»Nein«, antwortete Morren. »Ihm nicht, und
Lonnìl auch nicht. Sie dürfen es nie erfahren.
Vielleicht wird Felder eines Tages merken, daß ihn niemand
verzaubern kann. Aber solange er Felder ist, wird er nicht merken,
daß sein Name fort ist. Menschen sind sich nicht
bewußt, daß sie Namen haben. Aber das erklärt
natürlich alles, auch die Veränderungen, die ihr bemerkt
habt. Er ist jetzt nur noch Felder. Vorher kam vielleicht noch
manchmal Dhelin zum Durchbruch. Wir haben Dhelin kennengelernt, als
er sein Volk von den Dunklen abgeschwatzt hat. Aber das war seine
letzte Tat. Er wird nie wieder königlich sein
können.«
»Ich hätte nie gedacht, daß mir einmal ein
Mensch, und dazu noch dieser, leid tun könnte«, sagte
Schwinge traurig. »Sein Tod hätte mich vermutlich nicht
berührt. Aber den Namen zu verlieren - das möchte ich
niemandem wünschen.«
Am nächsten Morgen weckte
sie lautes Husten. Mit geschlossenen Augen blieb Keil liegen. Es
wunderte ihn nicht weiter, daß einer der Menschen sich
erkältet hatte, denn sie schienen an starken Regen nicht
gewöhnt zu sein. Hoffentlich wurden jetzt nicht beide krank!
Aber es mußte möglich sein, sie schnell wieder zu
heilen. Kein Grund also, sich Sorgen zu machen.
»Wer immer da hustet - er soll damit aufhören!«
murrte die verschlafene Stimme Felders. »Wie soll ein
vernünftiger Mensch da noch ein Auge zumachen
können?« Als Antwort bekam er nur ein weiteres Husten.
»Hör mal, ich will schlafen! Wenn du nicht sofort Ruhe
gibst, Lonnìl, werde ich unser Schwert gegen dich einsetzen
müssen!«
Nun mischte sich ein zweites Husten in das Erste. Gleichzeitig
hörte Keil Felder fluchen. Er setzte sich auf. Was war da los?
Wenn Lonnìl hustete und Felder vor sich hin schimpfte - wer
hustete dann noch?
Es war Morren. Der Zauberer hockte auf seinem Lager und
stützte sich mit einer Hand auf dem Boden auf. Sein Gesicht
war vom Husten rot angelaufen. Lonnìl hatte inzwischen
wieder zu keuchen aufgehört. Aber Morren schien für den
Rest des Tages so weitermachen zu wollen.
»Morren? Was ist mit dir los?«
»Ich … weiß nicht«, brachte der Zauberer
mühsam hervor. »Mir ist kalt! Und ich muß immerzu
…« Ein weiterer Hustenanfall schüttelte ihn und
raubte ihm die Sprache.
»Dann hast du dich erkältet«, stellte
Lonnìl mit rauher Stimme fest. »Ich mich auch, aber
das könnte schlimmer sein.«
»Dann legt euch hin und schlaft! Oder sucht euch eine andere
Höhle, statt uns den Schlaf zu rauben und uns alle
anzustecken! Ich bin nämlich nicht erkältet, und ich habe
es auch nicht vor. Gute Nacht!« Ohne aufzusehen, ergriff
Felder einen der herumliegenden Knochen und warf ihn in Morrens
Richtung, verfehlte ihn aber.
»Ich kann nicht krank geworden sein!« hustete Morren.
»Ich habe mich doch warm gehalten! Zauberer erkälten
sich niemals.«
»Du solltest nicht soviel reden«, belehrte ihn
Lonnìl. »Schone deinen Hals!«
»Da stimme ich ihm voll zu«, sagte Felder. »Seid
einfach ruhig!«
Keil konnte sich nicht erinnern, den Menschen jemals in derart
schlechter Laune erlebt zu haben. Sonst nahm er immer alle Dinge
sehr leicht - selbst der Verlust seines Königreiches schien
ihm weniger Probleme bereitet zu haben als allen anderen.
»Geht es dir nicht gut?« fragte Keil daher. Immerhin
hustete Felder nicht.
»Mir geht es so hervorragend, wie es nur jemandem gehen
kann, der in klatschnassen Kleidern eine Nacht auf steinhartem
Boden verbracht hat. Glaubt ihr vielleicht, ich hätte schlafen
können - bei dem Gedanken an dieses Schwert? Und dabei
hätte ich etwas Schlaf durchaus gebrauchen
können.«
»Das kann man wohl sagen!« sagte Morren, der sich
anscheinend ausgehustet hatte. Die angenehme Stimme des Zauberers
klang jetzt seltsam heiser. »Und ich wage zu behaupten,
daß du von uns allen am besten geschlafen hast, denn du hast
lauter geschnarcht als wir alle zusammen.«
»Das ist nicht weiter verwunderlich«, meinte Keil.
»Die Alifwin schnarchen niemals.«
Kurz, nachdem sie alle aufgestanden waren - auch Felder hatte,
wenn auch mit massiver Gewalt, dazu bewegt werden können - kam
Schwinge zurück. Sie hatte nichts erbeutet und trug kaum dazu
bei, die schlechte Laune wieder zu heben. Da sie es eilig hatten,
die Höhle wieder zu verlassen, brachen sie schnell auf. Ihre
Kleider waren immer noch naß, und Morren war zu sehr mit
seinem Husten beschäftigt, als daß er versucht
hätte, sie durch Zauberei zu trocknen. Außerdem hatte er
vergessen, in der Nacht ein Feuer anzuzünden. Felder schien
sich den Gedanken an das Schwert endgültig aus dem Kopf
geschlagen zu haben, denn er sprach nicht weiter davon. Er
schimpfte vor sich hin und blinzelte immer noch müde im Licht
der Morgensonne. Schwinge schwieg wieder. Lonnìl sah sich
nach den Seiten um und schien sich unwohl zu fühlen.
»Das ist also der Feenforst«, sagte er auf die Art,
welche die Menschen als Flüstern bezeichneten. Sie merkten
nicht, daß es fast genauso laut wie alles andere, was sie
sagte, durch die Gegend schallte.
»Du mußt nicht flüstern«, antwortete Keil
daher. »Die Feen wissen längst von unserem Kommen. Sie
haben sich nur dafür entschieden, sich uns nicht zu
zeigen.«
»Darüber können wir fast froh sein«, sagte
Morren. »Sie hätten sich auch dafür entscheiden
können, uns zu piesacken. Die Feen könnten uns das Leben
ganz schön schwer machen, wenn sie nur wollten. Dies ist ihr
Wald, und in ihm haben sie alle Möglichkeiten. Nicht umsonst
haben sie einen Bann über ihn gelegt, daß niemand
außer ihnen …« Er brach den Satz ab und begann
wieder zu husten. Was danach kam, hatte Keil nicht erwartet. Er
hatte nicht gedacht, daß Morren in der Kunst des Fluchens an
Felder heranreichte. Aber er übertraf ihn spielend. Felder
hörte mit großen Augen zu und versuchte, sich die
interessantesten Begriffe zu merken, denn seine Lippen formten
ungesprochen die Wörter nach. Keil hoffte, daß er sie
nie wiederholen würde.
»Was ist mit den Feen?« fragte Schwinge. »Was
haben sie gemacht?«
»Sie haben einen Bann über den Wald gelegt, daß
niemand außer ihnen dort zaubern kann. Darum habe ich mich
erkältet. In dem Moment, in dem wir gestern in den
Th’enlathíel kamen, endete mein Wärmezauber, und
ich habe es nur nicht gemerkt, weil ich es nicht erwartet hatte.
Was mir das Gefühl gegeben hat, vor der Kälte
geschützt zu sein, war nur der Glauben daran, daß der
Zauber noch wirkte. Wir Zauberer sind so sehr an diese kleinen
Bequemlichkeiten gewöhnt, daß wir ganz auf wärmende
Kleidung zugunsten eleganter Modelle verzichten können. Das
habe ich jetzt davon! Ich hätte es wissen müssen!«
Er mußte wieder husten.
»Aber hast du nicht noch in deine Kugel gesehen?«
fragte Lonnìl.
»Vorher, mein Freund, vorher! Im Th’enlathíel
selbst nicht mehr. Es wird mir eine Lehre sein. Ein Zauberer, der
sich erkältet!« Zur Abwechslung begann er nun zu
niesen.
»Oh ja, Herr Zauberer!« trumpfte nun Felder auf, der
eine Lage entdeckt hatte, in der er seine gute Laune wiederfinden
konnte. »Mir machen Herr Zauberer Vorwürfe, weil
ich als einziger weiß, wie man mit einem solchen Mistwetter
umzugehen hat. Und wer erkältet sich? Ich? Nein. Herr Zauberer
hat sich selbst erkältet. Das hast du nun davon.« Er
grinste Morren überlegen an, aber dann zuckte er zusammen.
»Was war das?«
Das hohe Kichern erklang noch einmal.
»Verflixtes Feenvolk! Sie haben uns!« keuchte der
Zauberer.
Jetzt kicherte es von allen Seiten, auch wenn sie noch nichts von
den Feen sehen konnten. Es war gut, daß die Menschen nicht
verstanden, was die Feen ihnen nun mit ihren zwitschernden Stimmen
zuriefen.
»Seht es euch an! Morren, der Zauberer, hat sich
erkältet, und seine Nase leuchtet fast so rot wie die des
mutigen Prinzen! Aber nein - er ist ja gar kein Prinz mehr! Und er
ist auch nicht sehr mutig! Wie sollen wir ihn dann
nennen?«
Woher kannten sie Felders Geschichte? Aber Keil wußte nur
sehr wenig über die Feen. Zwar waren sie die nächsten
Verwandten der Alifwin, aber keiner wäre jemals auf die Idee
gekommen, auf das Geschwätz einer Fee zu hören. Man
durfte sie nicht für voll nehmen.
»Er nennt sich Felder!« zirpten die Feen und lachten
schallend. »Das sind die einzigen Felder, die er noch hat,
alle anderen hat er verloren! Wir wollen sehen, ob man diese Felder
auch bepflanzen kann!«
»Aua!« sagte Felder. »Ich will nicht behaupten,
daß es diese kichernden Feen waren, aber irgend etwas bewirft
mich mit Eicheln. Na wartet!« Er versuchte, die Eicheln
zurück zu schnipsen, aber ein fröhliches Kichern zeigte,
daß er nicht getroffen hatte.
Keil versuchte, nicht weiter auf die Feen zu achten, denn das war
vermutlich die einzige Methode, sie wieder los zu werden. Aber sie
würden kaum abzuschütteln sein, jetzt, wo sie in Felder
so ein nettes Spielzeug gefunden hatten. Morren sah und hörte
dem Treiben mit einer gewissen Belustigung zu.
»Es ist fein, daß sie es gerade auf dich abgesehen
haben, Felder! Jetzt bekommst du endlich einen Geschmack davon, was
wir täglich mit dir durchstehen müssen.«
»Habe ich euch jemals mit Eicheln beworfen?« fragte
Felder und traf zur Abwechslung einmal Morren am Ohr.
»Also waren es die Feen, die verhindert haben, daß
deine Zauber gestern funktionierten«, sagte Keil der Hohen
Sprache zu Morren. »Das bedeutet, daß wir uns umsonst
Sorgen gemacht haben. Außerhalb des Waldes hättest du
Felder verzaubern können, wann immer du wolltest. Er hat
seinen Namen nicht verloren.«
»Ich hoffe, du hast recht«, antwortete Morren.
»Du irrst dich, Flötenspieler!« riefen die Feen.
»Es ist nicht, wie du denkst! Und es ist nicht so, wie ihr
dachtet! Er hat einen Namen, aber einen Namen hat er nicht! Und
sieh zu, daß du selbst deinen Namen nie vergißt! Du
könntest ihn allzu schnell verlieren! Und haltet alle eure
Köpfe fest!«
Ein Regen von Bucheckern ergoß sich über sie. Die Feen
konnten sie nicht alle einfach von dem Bäumen geschüttelt
oder geworfen haben, denn es war noch viel zu früh im Jahr.
Vermutlich war es ein Teil ihrer Magie, über die niemand etwas
Genaues wußte, vielleicht nicht einmal die Feen selbst. Sie
waren zu kindisch, um sich irgendwelche Gedanken über Magie zu
machen. Sie war eben einfach da.
Keil pflückte ein paar Eckern aus seinem Haar, die sich in
dem silbernen Reif verfangen hatten. Natürlich waren die Feen
lästig, aber bestimmt nicht böse. Auf ihre Art waren sie
sehr interessant, und er fragte sich, warum die Zauberer sie noch
nicht so weit erforscht hatten.
Während sie langsam durch den Wald wanderten und darauf
achteten, auf den Wegen zu bleiben, damit sie nicht in die Irre
liefen, zeigte sich ihnen keine einzige Fee, aber ihre
spöttischen Rufe und Wurfgeschosse begleiteten die Gruppe und
zeigten, daß sie alles andere als alleine waren. Die Feen
hatten jetzt etwas von Felder abgelassen und verteilten ihre
Attacken ‘gerecht’ auf alle, wobei Lonnìl wohl
das wenigste abbekam. Als sich ein ganzer Haufen Laub
plötzlich über Schwinge ergoß, riß ihr die
Geduld.
»Hört auf, ihr Feenpack!« rief sie.
»Belästigt uns nicht weiter!«
»Ihr versteht, was sie sagen, nicht wahr?« fragte
Lonnìl. »Was wollen sie?«
»Man kann es nicht übersetzen«, sagte Keil
schnell. »Und … ich glaube nicht, daß du das
wirklich wissen willst.«
Lonnìl seufzte. »Ihr versteht die Sprache eines jeden
Lebewesens. Und ich könnte nicht einmal verstehen, was Felder
redet, wenn ihr nicht dabei wärt.«
»Wie kommst du darauf?« fragte Keil erstaunt.
Darüber hatte er sich noch nie Gedanken gemacht. Manchmal
konnte es auch lästig sein, alle Sprachen zu verstehen.
»Ich habe mit Felder darüber geredet. Die Menschen von
Thoria sprechen eine andere Sprache als mein Volk. Felder hat zwar
auf seinen Reisen viele verschiedene Sprachen gelernt, doch
Dunistani kann er nicht. Aber mit uns sprecht ihr eine Sprache, und
wir verstehen alles. Wie geht das?«
»Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll
…«, sagte Keil. Er hätte nicht erwartet,
daß die Menschen das Sprachproblem überhaupt bemerkt
hätten. »Sagen wir es so: Es ist keine bestimmte
Sprache, oder eigentlich doch. Es ist die Sprache der Menschen. Sie
besteht aus allen Sprachen, die ihr sprecht, und obwohl kein Volk
auf der Welt diese Sprache verwendet, versteht sie doch jeder
Mensch. Aber die Menschen wissen nicht, daß sie diese Sprache
haben, und darum verstehen sie einander nicht.«
»Das hast du schön gesagt, Flötenspieler!«
riefen die Feen.
»Aber haben wir diese Sprache jetzt gelernt?« fragte
Felder, der interessiert zugehört hatte. »Oder werden
wir uns in einigen Jahren wieder begegnen, ohne Elfen in
Reichweite, und uns nichts mehr sagen können?«
»Das weiß ich nicht«, gab Keil zu.
»Vielleicht hängt es nur davon ab, daß ihr euch
sonst nicht verstehen wollt? Ich habe noch nie Menschen
erlebt, wenn keine Alifwin in der Nähe waren. Ihr werdet es
sehen.«
»Also sprechen wir keine Sprache«, versuchte Felder
zusammenzufassen, »sondern nur die Idee ein Sprache …
Nun, Ideen kann man sich merken und sie in der Welt bekannt machen.
Wenn wieder alle Menschen eine gemeinsame Sprache hätten, dann
…« Er brach ab, aber Keil wußte, was er hatte
sagen wollen: Daß dann alle Menschen vereint über die
Welt herrschen konnten. Keil war ein wenig erstaunt, daß
Felder den Satz nicht zu Ende gesprochen hatte. Sonst wägte er
seine Worte weniger ab. Überhaupt war er heute irgendwie
ernster als sonst. Vielleicht machten die Feen ihm zu schaffen, so
daß er sich nicht traute, seine üblichen
Späßchen zu treiben? Auch Lonnìl schien es zu
merken.
»Was ist mit dir heute los?« fragte er. »Ist es
noch wegen dem Schwert, oder warum bist du jetzt so …
vernünftig?«
»Es ist noch viel schlimmer«, schwirrten die Feen.
»Er ist nüchtern!«
»Es ist noch schlimmer, als du denkst«, sagte Felder
gleichzeitig, mit einem bedauernden Tonfall. »Ich bin
nüchtern.«
Der Nachmittag ging
vorüber, ohne daß sich die Feen zeigten. Die Reisenden
aßen ihre Vorräte und tranken von dem mitgebrachten
Wasser, weil sie es nicht wagten, im Wald der Feen etwas zu jagen
oder zu pflücken. Wenn sie ihn gegen sich aufgebracht
hätten, würde er sie vielleicht nicht mehr gehen lassen,
so wie das Schwert seine Opfer auf alle Zeiten festhielt.
Zwischen dem Th’enlathíel und dem Reich der Dunklen
herrschte ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Für sich
betrachtet, war der Wald der schönste, in dem Keil jemals
gewesen war: Er war hell, fröhlich, einladend und hatte ganz
und gar nichts Bedrohliches an sich. Vor allem aber wirkte er so
jung, als ob er an diesem Morgen erst aus der Erde geschossen war,
voller Kraft und voller Leben. Ihm fehlte jene ruhige
Behäbigkeit, die es in Schwinges Wald gab. Dieser Wald war so
munter wie ein fröhlicher Fluß. Und doch war es kein
Ort, an dem Keil sich hätte wohl fühlen können. Auch
wenn von den Feen gerade einmal nichts zu sehen oder zu hören
war, so blieb doch immer daß Gefühl, daß sie jeden
Schritt, der in ihrem Wald getan wurde, genau beobachteten. Niemand
konnte hier das Gefühl haben, allein zu sein. Auf seine Art
war der Th’enlathíel ebenso beklemmend wie das Dunkle
Reich.
»Kommt heraus, ihr Feen!« rief Morren. »Wir sind
eure Freunde! Wir wollen mit euch reden.«
»Aber wir reden schon die ganze Zeit mit euch!« riefen
die Feen zurück. »Wenn ihr nicht zuhören wollt,
seid ihr selber schuld! Wir wissen, was ihr sucht, und vermutlich
besser als ihr, weil wir es haben. Aber ihr bekommt es
nicht!«
»Also besitzt ihr die Harfe?« fragte Keil. Die Feen
kicherten nur.
»Sie haben sie«, stellte Schwinge fest.
»Hört zu, ihr Feen, wir gehören zusammen! Die
Kinder der Hohen stehen sich gegenseitig bei! Ihr braucht die Harfe
nicht, weil ihr viel zu klein seid, um auf ihr zu spielen, und ihr
habt euren Wald, der euch beschützt. Die Alifwin brauchen
diese Harfe, und wir bitten euch, sie uns zu geben. Sie gehört
den Alifwin genauso wie euch.«
»Sie weiß es nicht!« zwitscherten die Feen
fröhlich. »Die grimmige Jägerin weiß selbst
nicht, was sie sucht! Aber ihr Herz ist zu sehr von Zorn
erfüllt, als daß sie an etwas anderes denken könnte
als ihre Rache! Alle lieben sie, und sie liebt
niemanden!«
»Das ist nicht wahr!« rief Schwinge zornig.
»Gebt ihr uns nun die Harfe?«
»Du kannst sie nicht haben, grimmige Jägerin! Niemand
kann sie haben, außer dem Licht! Und das Licht sind
wir!«
Plötzlich war Schwinge von vielen tanzenden kleinen Lichtern
umgeben.
»Glühwürmchen! Um diese Tageszeit!«
frohlockte Felder, obwohl er sicher selbst wußte, daß
es nur die Feen sein konnten. Sofort wurde auch er umschwirrt. Die
Feen setzten sich in sein Haar wie kleine Sterne und zupften an
seinen Ohren, während er vergeblich versuchte, eine von ihnen
zu fangen. Aber es schien ihm ebenso viel Spaß zu machen wie
ihnen.
»Na wartet, ich kriege euch noch!« rief er lachend.
»Ich kann einen guten Preis für euch erzielen, wenn ich
euch auf dem Jahrmarkt anbiete! Man könnte dunkle
Verließe mit euch erhellen, wenn man euch mit einer Schnur an
die Decke hängt.«
»Hör auf damit!« sagte Morren ärgerlich.
»Und zapple nicht so herum! Wir müssen ernste Dinge mit
den Fee besprechen.«
»Aber wir nicht mit euch!« riefen die Feen
vergnügt. »Wir wollen den Mann ohne Namen behalten! Wir
mögen ihn so sehr!« Wie als Beweis begannen sie, den
immer noch herumalbernden Felder mit Küssen zu bedecken.
»Ihr anderen könnt gehen, aber den Menschen behalten wir
hier!«
Jetzt mußten sie aufpassen. Möglicherweise machten die
Feen nur Witze, aber es war ebensogut möglich, daß sie
Felder tatsächlich nicht mehr gehen lassen würden. Der
Mensch konnte nicht wissen, um was es ging.
Morren schnauzte ihn barscher an, als es nötig war.
»Felder, du wirst jetzt sofort wieder ernst, oder es gibt
Ärger!«
»Wenn sie ihren Spaß haben dürfen - warum dann
ich nicht?«
Ohne weitere Vorwarnung gab ihm Morren eine Ohrfeige.
»Tut unserem Felder nicht weh!« riefen die Feen.
»Wenn wir mit ihm spielen dürfen, sagen wir euch, wo ihr
die Harfe aus Laub findet, die ihr sucht!«
Morren blieb stehen und hob eine Hand. »Laßt uns eine
Rast machen!« sagte er zu dem Menschen. Und er fügte in
der Hohen Sprache hinzu: »Darüber müssen wir
reden.«
»Ich wüßte nicht, was er da zu bereden
gibt«, sagte Keil. »Du wirst ihnen doch wohl kaum
Felder überlassen wollen!«
»Ich wüßte nicht, warum wir es nicht
sollten«, sagte der Zauberer ruhig. »Sie haben uns ein
sehr verlockendes Angebot gemacht. Was hältst du davon,
Schwinge? Du wolltest Felder doch immer gerne loswerden, nicht
wahr?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Schwinge. »Es
kommt darauf an, was sie mit ihm vorhaben. ‘Spielen’
kann so vieles bedeuten. Sicher, ich mag ihn nicht besonders, aber
trotzdem … es wäre falsch, ihn einfach zu verraten.
Immerhin vertraut er uns. Und wir dürfen nicht vergessen,
daß er sich um ein Haar für uns geopfert hätte. Um
uns zu helfen, hat er alles verloren - sogar seinen
Namen.«
»Es überrascht mich, diese Worte aus deinem Mund zu
hören«, sagte Morren erstaunt. »Ich hätte
erwartet, daß du als erste von uns allen zugestimmt
hättest.«
»Und mich wundert, mit welcher Leichtigkeit du Felder opfern
willst«, rief Keil wütend. »Ich hatte gedacht, er
ist unser Freund! Gestern hast du dir noch Sorgen um ihn gemacht.
Und jetzt willst du ihn ans Messer liefern?«
»Keil, du verstehst das falsch.« Morren Stimme blieb
ruhig und belehrend. »Natürlich ist Felder unser Freund.
Aber es geht doch nicht darum, ihn den wilden Tieren zum Fraß
vorzuwerfen. Die Feen wollen nur eine Zeitlang mit ihm spielen.
Dann verlieren sie sehr schnell die Lust an ihm. Sie sind ein
unstetes Völkchen. Und er hat an ihnen genau so viel
Vergnügen. In gewisser Hinsicht sind sie verwandte Seelen:
Nicht dumm, aber kindisch und töricht und nur auf ihr
Vergnügen aus. Sie werden ihm nichts tun. Und wir bekommen die
Harfe.«
»Und wenn sie ihn wirklich behalten wollen?« fragte
Keil. »Da hätte er besser bei den Dunklen bleiben
können - mit denen konnte er sich noch
verständigen.«
»Aber wir sind durch die halbe Welt gereist, um diese Harfe
zu bekommen!« wandte Schwinge ein. »Wir haben Felder
niemals gebeten, mit uns zu kommen. Es kann doch nicht
plötzlich unser Ziel sein, um jeden Preis einen
närrischen Menschen zu beschützen! Es geht doch um viel
mehr! Was ist dir wichtiger - die Zukunft dieses Menschen, oder die
der Alifwin?«
»Außerdem wäre Felder selbst der erste, der
zustimmen würde«, sagte Morren. »Es ist genau die
Art von Abenteuer, für die er sich begeistert. Er hat es
geschafft, die Dunklen auszutricksen. Da wird er auch noch mit ein
paar Feen fertig!«
»Und warum besprechen wir das Ganze dann heimlich hinter
seinem Rücken, wenn ihr davon ausgeht, daß er
einverstanden wäre?«
Und warum war er dann selbst noch nicht aufgestanden und hatte
Felder und Lonnìl in das Angebot der Feen eingeweiht?
Schwinge hatte recht. Es ging um mehr als Felder. Es ging um die
Harfe. Und die Feen würden sicher bald genug von Felder
haben.
»Und? Wißt ihr jetzt, was ihr wollt?« fragten
die Feen.
Schwinge und Morren blickten zu Keil hinüber, aber der sagte
nichts. Er schaute zu Boden, um Felder nicht direkt ansehen zu
müssen.
»Wir haben uns entschieden«, sagte Morren und hustete.
»Wir nehmen euer Angebot an.«
Die Feen brauchen in ein Freudengeheul aus und stürzten sich
auf Felder, bis dieser fast ganz in eine Wolke aus tanzendem Licht
eingehüllt war.
»Hört auf!« rief der Mensch. »Was zuviel
ist, ist zuviel! Ich kann gar nichts mehr sehen!«
»Ich glaube, wir haben einen Fehler gemacht«, sagte
Keil leise.
»Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte
Morren.
Dann schwiegen sie. Nichts war zu hören als das schrille
Kichern der Feen.
»Und?« fragte Schwinge dann. »Was ist nun mit
der Harfe?«
»Sie ist hier!« riefen die Feen.
»Wo ist sie?« fragte Morren. »Ich kann sie nicht
sehen.«
»Dann mußt du blind sein, Zauberer! Sie ist
hier!«
Im Schein der roten Abendsonne tanzten die Lichter zwischen den
Zweigen umher. Das war alles, was es zu sehen gab. Und
plötzlich begriff Keil.
»Der Wald!« flüsterte er. »Die Harfe ist
der Th’enlathíel.«
»Der Flötenspieler hat gewonnen!« jubelten die
Feen. »Die Harfe gehört dem Licht ganz allein, und darum
könnt ihr sie nicht mitnehmen. Jetzt freut ihr euch,
oder?«
Wütend schleuderte Schwinge ihren Bogen zu Boden. »Sie
haben uns reingelegt!« rief sie.
»Ja«, sagte Morren, und er klang nicht im mindesten
überrascht. »Das haben sie. Und sie haben
Felder.«
»Du hast es gewußt, Zauberer!« rief Keil.
»Und du hast Felder absichtlich in die Falle geschickt! Warum
hast du das getan?«
»Ich habe es nicht gewußt«, entgegnete Morren.
»Aber ich hätte es wissen müssen. Wir dürfen
niemals die Feen unterschätzen. Sie sind genau wie die
Dunklen, nur, daß sie leuchten.«
»Wir sind nicht wie die Dunklen!« zirpten die Feen.
»Wir sind besser! Die Dunklen haben Felder nicht bekommen!
Wir schon! Wenn die Dunklen euch einen Tausch angeboten hätten
- Felder gegen die Laute - dann hätten sie ihn bekommen. Aber
sie wollten ihre Laute behalten. Und jetzt haben wir
ihn.«
Langsam wurde Keil alles klar. Es ging von Anfang an nur um
Felder. Die Dunklen hatten die Laute als Köder ausgelegt. Aber
in Wirklichkeit ging es ihnen darum, Thoria zu bekommen. Und weil
sie wußten, daß sie es von dem herrschenden König
nicht bekommen konnten, mußten sie den Tag abwarten, an dem
er starb. Dann hatten sie seinen Sohn in ihr Reich geholt. Felder
hatte nicht heldenhaft sein Land verloren, um den Alifwin zu
helfen. Er war nichtsahnend in eine sorgfältig vorbereitete
Falle gelaufen.
»Was ist los?« fragte Lonnìl. »Worum geht
es, das wir nicht wissen dürfen? Wir können vielleicht
eure Sprache nicht verstehen, aber eure Gesichter sprechen
deutlicher als alles andere. Was ist mit uns?«
»Wir dürfen es ihm nicht sagen!« sagte Schwinge.
»Wenn sie erfahren, daß wir Felder den Feen
überlassen haben, werden sie vermutlich beide gegen uns
kämpfen.«
»Das übernehme ich schon«, sagte Morren.
»Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, meine
Freunde. Die gute ist: Wir haben die Harfe gefunden.«
»Und was ist die Schlechte?« fragte Felder und
versuchte vergeblich, ein paar Feen von seinen Schultern zu
schütteln.
»Die schlechte Nachricht lautet: Sie ist aus Laub, weil sie
dieser Wald ist. Und wir sind alle Gefangene der Feen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Felder. »Wie
wollen sie uns denn gefangennehmen? Denn abgesehen davon, daß
sie um so vieles kleiner sind als wir, haben sie nicht einmal
richtige Körper. Sie sind einfach nur diffuse Lichtwesen. In
einem Kampf würden sie auf jeden Fall den Kürzeren
ziehen.« Es klang weder überzeugt noch überzeugend.
Felder hatte selbst gesehen, zu was die Feen fähig waren, und
ihm war sicher klar, daß sie nicht aus diesem Wald
herauskamen, wenn die Feen es nicht wollten.
»Der Zauberer lügt!« riefen die Feen. »Wir
haben euch nicht gefangengenommen! Warum tust du das, Zauberer?
Keiner von euch muß hierblieben außer dem
Felder!«
»Wenn er hier bleibt, bleiben wir alle«, sagte
Morren.
»Das war eine dumme Entscheidung!« riefen die Feen.
»Schön für uns, aber dumm für euch. Wir
können warten. Wir haben Zeit. Wir haben unsere Harfe bereits,
während ihr eure Flöte noch lange nicht gefunden habt.
Und ihr werdet sie hier auch nicht finden. Aber bleibt nur, ihr
alle. Uns soll es recht sein.«
Es wurde ein sehr langer und
ungemütlicher Abend. Die Feen umschwirrten sie, aber was sie
ihnen zuriefen, konnte Lonnìl nicht verstehen. Die fremde
Sprache blieb ein unüberwindbares Hindernis. Auch wenn Felder
anscheinend alles unternahm, um sie zu lernen.
»Die Feen«, fragte er Keil ganz beiläufig,
»müßten sie nicht eigentlich wie Fwin
ausgesprochen werden?«
»Woher weißt du das?« antwortete Keil erstaunt
und merkte zu spät, daß er angefangen hatte, seine
geheime Sprache zu verraten, als Schwinge ihn böse anfauchte.
Aber Morren war hellhörig geworden und zog Felder zu sich
herüber.
»Wie kommst du darauf?« fragte er langsam und
überdeutlich, so als müsse er sich mühsam von einem
Wutausbruch abhalten. Er war ohnehin in sehr gereizter Stimmung,
und Felder hätte sicher keinen schlechteren Zeitpunkt
wählen können, um Sprachforschungen zu betreiben.
Aber Felder war sich seines Überaschungserfolges durchaus
bewußt, und diesen Triumph gedachte er bis zum letzten
auszukosten - so wie er es mit allen Erfolgen tat. »Habe ich
nicht einmal erwähnt, daß ich gut bin in fremden
Sprachen? Es ist eine der drei Sachen, in denen ich wirklich gut
bin, neben Fechten und einem dritten Aspekt, auf den ich nicht
näher eingehen möchte. Ich spreche vier oder fünf
Sprachen mehr oder weniger fließend und kann in den meisten
anderen Sprachen oder Dialekten zumindest ein Bier bestellen, einen
Mann beleidigen und einer Frau schmeicheln. Ich lerne, indem ich
zuhöre. Aber bei euch weiß man nie, wo ein Wort
aufhört und das nächste anfängt, so wie ihr die
Sätze zusammenzieht. Wenn wir nicht bei den Elben gewesen
wäre, würde ich immer noch im Dunkeln tappen. Bildlich
gesprochen, meine ich. Die Elben machen zumindest Atempausen.
Zuerst wußte ich nur, daß euer merkwürdiger Name,
Alifwin, wörtlich übersetzt Leben im Licht
bedeutet. Danach konnte ich es immerhin in seine Einzelteile
zerlegen: Al-i-Fwin. Fwin heißt also Licht. Diese Feen hier
sind süße kleine Lichterwesen. Was läge also
näher, als sie schlicht und ergreifend ‘Licht’ zu
nennen, so wie es umgekehrt die Dunklen tun? Und jetzt hat Keil
meinen Verdacht bestätigt. Feen kommt von Fwin. Scheint, als
würde euch eure eigene Sprache zu schwierig. Dann dürft
ihr euch nur nicht beschweren, wenn wir euch Elfen nennen. Es ist
im Prinzip das Gleiche.«
»Ich muß sagen, ich bin beeindruckt«, sagte
Morren. »Das hätte ich dir nicht zugetraut.«
»Manchmal schaffe ich es eben doch noch, die Leute zu
verblüffen. Ich wäre aber vermutlich nicht darauf
gekommen, wenn ich nicht nüchtern wäre und mich nicht
irgendwie ablenken müßte.«
»Was weißt du noch von der Hohen Sprache?«
fragte Morren weiter.
Felder mußte den drohenden Unterton überhört
haben, denn er fuhr munter fort: »Nicht entsetzlich viel.
Eigentlich nur die Sachen, die ihr mir übersetzt habt.
Dolua’d’llán heißt ‘Hort der
Trommel’, aber ich nehme vom reinen Klang her an, daß
Dolua Trommel heißt. Man kann viel von einer Sprache
übers Lautmalerische erfahren. So ein langgezogenes
Llán kann einfach nicht Trommel heißen. Llaaaaan - das
klingt wie ein Gähnen. Während Dolua Dolua
Dolua - das klopft richtig. Ich habe doch Recht, oder? Und
was bedeutet Th’enlathíel? Es kann nicht wirklich
Feenforst bedeuten. Es ist kein Fwin drin.«
»Du mußt nicht glauben, daß wir so dumm sind,
dir das auch noch zu verraten«, sagte Morren. »Hör
mir zu, und zwar gut: Es wird niemals ein Mensch die Hohen Sprache
lernen. Du wirst alles, was du über sie gelernt hast, wieder
vergessen, und Lonnìl auch, selbst wenn er damit weniger
Schaden anrichten könnte. Wenn ich dich dabei erwische,
daß du Fortschritte machst oder dich eines Tagen in einer
Kneipe mit deinen Sprachkenntnissen protzen höre, dann
bekommst du Ärger mit mir. Wirklich großen
Ärger.«
»Ich zittere vor Angst«, sagte Felder ungerührt.
»Wenn das nicht ungerecht ist! Die Elfen dürfen alle
möglichen Sprachen sprechen, und ich darf nicht einmal drei
Brocken von ihrer Sprache aufschnappen? Vermutlich soll ich auch
noch so tun, als hätte ich nie auch nur einen Elfen getroffen,
am Besten, als hätte es überhaupt nie welche
gegeben?«
»Du hast es erraten. Und das solltest du auch ernst nehmen.
Ich werde ein Auge auf dich haben in der Zeit nach diesem Abenteuer
- sofern du es überlebst. Ich werde genau hören, was
für Geschichten du erzählst, damit man dir etwas zu
trinken ausgibt.«
Felder schwieg beleidigt, nicht nur wegen Morrens neuem Seitenhieb
auf seine unrühmliche Zukunft, sondern auch, weil er
wahrscheinlich eher mit einem Lob für seine Überlegungen
gerechnet hatte als mit einer derartigen Zurechtweisung.
Mit dem Fortschreiten des Abends kehrte auch Lonnìls
Erkältung zurück, die ihn zum Glück den Tag
über in Ruhe gelassen hatte, und Morrens Husten wurde
stärker. Aber das war es wohl nicht einmal, was die schlechte
Laune des Zauberers verursachte. Auch, daß die Feen sie
gefangen hielten, war nur zweitrangig. Morrens Hauptproblem lag
darin, daß er nicht über seine Macht verfügen
konnte. Die Kraft des Feenwaldes hatte ihn auf ein menschliches
Maß reduziert. Und damit kam er schwer zurecht. Normalerweise
hätte er um diese Tageszeit längst ein behagliches Feuer
entfacht, indem er einfach nur auf das aufgehäufte Reisig
deutete, und auch seine Erkältung hätte er sofort selbst
kuriert. Erst jetzt, als er darüber nachdachte, fiel
Lonnìl auf, wie oft Morren seine Magie einsetzte, für
welch alltägliche Dinge. Ohne sie mußte er völlig
hilflos sein. Konnte ein Zauberer überhaupt ohne seine Magie
leben? Konnte Morren es?
»Ich halte es nicht mehr lange aus, hier rumzusitzen!«
sagte Felder und stand auf. »Wir haben ja noch nicht einmal
versucht, zu entkommen. Jetzt sind weit und breit keine Feen mehr
zu sehen. Warum sehen wir nicht einfach, ob wir den Wald verlassen
können? Was bringen wir den Feen, wenn wir hier sitzen und uns
gegenseitig anöden?«
»Jetzt ist es sowieso zu spät, um noch einen Weg nach
draußen zu finden«, sagte Morren.
»Aber ich habe Hunger! Ich habe Durst! Wir haben den ganzen
Tag über nichts richtiges gegessen. Wenn wir noch länger
hierbleiben, werden wir krepieren!«
»Halt den Mund und betrink dich«, knurrte Morren und
hustete.
Felder schüttelte bedauernd den Kopf. »Geht nicht.
Reicht nicht.«
Es gab noch eine Menge Ärger, bevor sie einschliefen. Felder
versuchte, aus reiner Langeweile einen Streit vom Zaun zu brechen.
Schwinge redete derart aufgebracht auf Morren ein, daß
Lonnìl erstmals froh war, sie nicht verstehen zu
können. Außerdem beschimpfte sie Felder, dem sie die
Schuld für die Ereignisse des Tages gab. Wenn er sich nicht so
lächerlich und kindisch benommen hätte, wären die
Feen niemals auf sie aufmerksam geworden. Keil sagte überhaupt
nichts, sondern hockte regungslos auf einer Wurzel und starrte
seine Flöte an, die er in den Händen hielt, als
wüßte er nicht, was er damit anfangen sollte.
Lonnìl fror und fühlte sich überhaupt
ausgesprochen unwohl. Aber endlich kam die Nacht und ließ sie
alle zur Ruhe kommen.
Keil wußte nicht, was er
machen sollte. Seine Freunde schliefen schon - selbst Morren hatte
sich endlich in den Schlaf gehustet -, aber er selbst war nicht
einmal müde. Dieser Tag war so anders verlaufen, als er
erwartet hatte! Es war nichts Besonderes, daß die Feen sie
hereingelegt hatten - es wäre erstaunlich gewesen, wenn nicht.
Aber Keil hatte Felder verraten für nichts und wieder nichts,
und das ließ ihm keine Ruhe. Wenn Morren nicht derart
halsstarrig darauf beharrt hätte, daß sie alle im
Th’enlathíel blieben, hätte Schwinge längst
ihren Willen durchgesetzt. Sie wollte beide Menschen
zurücklassen. Und würde Keil tun? Davor fürchtete er
sich mehr als vor irgend etwas anderem: Dem Moment, in dem er sich
entscheiden mußte zwischen den Menschen und den Alifwin.
Egal, wen er verriet, es würde falsch sein.
Morren wollte die Feen zermürben. Aber Keil wußte auch,
warum Morren das machte. Der Zauberer war von den Feen
überlistet worden, und das konnte er nicht verkraften. Jetzt
zu gehen, ohne Harfe und ohne Felder, hätte ein
Eingeständnis bedeutet. Morren war sehr stolz. Jetzt
mußte er zeigen, daß er in der Lage war, auch ohne
Zauberei die Feen besiegen zu können, nur um es sich selbst zu
beweisen. Aber seine Methode bestand darin zu warten. Die Feen
waren ebenso unsterblich wie er, und es war nicht klar, wer zuerst
die Geduld verlor. Schlimmstenfalls würden sie Jahrhunderte
auf dieser Lichtung sitzen, wenn sie nicht vorher verhungerten.
Morren würde vielleicht nicht einmal dann aufgeben, wenn der
Mensch, um den sich der ganze Ärger drehte, längst
gestorben war - nur um sein Recht zu behalten.
So konnte es nicht weitergehen. Es mußte doch eine
Lösung geben!
Keil dachte an jenen Tag, der nun schon so lange vergangen zu sein
schien, an dem er durch Zufall den Namen des Waldes erfahren hatte.
Und wenn der Wald der Alifwin einen Namen hatte, dann mußte
der Th’enlathíel erst recht einen besitzen.
Natürlich war da noch die Magiesperre, die über dem Wald
lag. Aber Keil hatte nicht vor, irgendwelche Magie zu wirken. Er
wollte nur den Namen des Waldes wissen. Vielleicht hatte der Wald
sein Spiel aufhalten können, als es um Felders Namen ging.
Aber würde er einem Spiel widerstehen können, das an ihn
selbst gerichtet war? Das mußte man herausfinden. Wenn Keil
es probierte und scheiterte, würde es keine weiteren Folgen
nach sich ziehen.
Aber wenn er Erfolg hatte? Das war das viel größere
Problem. Keil konnte spüren, wie die Melodien aus ihm hinaus
drängten. Wenn er jetzt seine Flöte nahm, mußte der
Wald ihm den Namen sagen. Aber die Wahrheit war, daß Keil
Angst hatte vor seiner eigenen Macht. Er war nicht wie Morren,
für den sie etwas Selbstverständliches war - zu
selbstverständlich. Macht wollte benutzt werden. Keil hatte
dies noch nie so stark gefühlt wie jetzt. Und es war im Moment
wirklich die einzige Rettung, dem Wald zu sagen, daß er sie
gehen lassen sollte. Aber was würde Morren sagen? Wenn sie
durch Keils Verdienst aus dem Wald herauskamen, dann bedeutete es
zwar, daß die Feen verloren hatten, aber Morren ebenso. Und
das würde Morren ihm so schnell nicht verzeihen. Die Zauberer
lächelte über die Liedmagie der Alifwin. Sie durfte sich
nicht als überlegen erweisen. Jetzt erst merkte Keil, was
für eine Angst er eigentlich vor Morren hatte, noch
größere als vor Schwinge. Noch war Morren sein Freund.
Aber was, wenn er den Zorn des Zauberers auf sich zog?
Die Flöte lag warm in seiner Hand. Sie fühlte sich
lebendig an. Es ging nicht anders. Keil mußte spielen. Er
konnte nicht länger vor seiner eigenen Kraft davonlaufen.
Leise stand er auf und verließ die Lichtung. Es war am
Sichersten, wenn die anderen ihn nicht hören konnten.
Vielleicht konnte er es so anstellen, daß Morren es nicht
merkte und es für seinen eigenen Verdienst hielt, wenn sie aus
dem Wald entkamen. Schließlich kam er an eine Stelle, die ihm
geeignet erschien. Es war eine andere Lichtung, kleiner als die
erste und vollkommen ruhig. Der Wald gab keinen Laut von sich.
Über den Gipfeln war das Licht der Sterne zu sehen. Keil
setzte sich auf den Boden und begann zu spielen. Er machte sich
keine Gedanken darüber, welche Töne er spielen
mußte. Die Melodie war immer dagewesen. Jetzt ließ er
sie frei.
Der Name traf ihn mit einem Schlag, der ihm fast den Atem raubte.
Keil ließ die Flöte sinken; er war froh zu sitzen.
Dieser Name übertraf den von Schwinges Wald um Längen.
Hier hatten sich die alte Macht des Waldes und die der Hohen
verbündet, um etwas zu schaffen, daß mehr war als ein
Wald. Es war eine eigene Welt. Und Keil kannte ihren Namen!
Jetzt wußte er auch, warum man den Feenforst
Th’enlathíel nannte - ein merkwürdiges Wort,
über das sich Felder nicht zu Unrecht gewundert hatte. Es war
eine Erinnerung an den wirklichen Namen, den die Hohem diesem Wald
gegeben hatten: Thíl-en-la-thíèl. Keil
hatte erwartet, daß sich der Name irgendwie um die Harfe
drehen mußte, aber er bedeutete ‘Freude aller
Freuden’.
Um ihn herum erwachte der Wald zum Leben. Die Feen hatten seine
Flöte gehört, und jetzt umschwirrten sie ihn
ärgerlich. Doch für Keil waren sie nicht mehr als
tanzende Lichter in der Nacht. Ihre Kraft reichte nicht an seine
heran. Die Feen waren an ihren Wald gebunden, und Keil konnte mit
ihnen tun, was er wollte.
»Was hast du gemacht?« riefen die Feen. »Du
kannst nicht flöten in unserem Wald!«
»Ich kann flöten, wo immer ich will«, lachte
Keil. »Die Kraft des Waldes war nicht stark genug gegen die
Kraft der Musik. Er konnte verhindern, daß ich jedwede Art
von Magie ausübe, bis auf eine: Er mußte mir seinen
Namen sagen.«
»Und was wirst du jetzt tun?« fragten die Feen.
»Was wirst du mit unserem Wald machen?«
»Ich werde gar nichts machen - unter einer Bedingung:
Daß ihr uns morgen früh ziehen laßt. Auch
Felder.«
»Und wenn wir das nicht tun?«
»Ihr könnt uns nicht zurückhalten. Es war der
Wald, der uns aufgehalten hätte, nicht ihr. Ich muß nur
dem Wald befehlen, uns gehen zu lassen. Ihr habt keine Macht
über uns, aber ich habe Macht über euch. Tut, was ich
sage.«
»Du bist gemein, Flötenspieler!« schrien die
Feen.
»Nicht gemeiner, als ihr es seid. Ihr habt die Wahl: Geht zu
Morren und sagt ihm, daß wir gehen können - dann bin ich
fort, und euer Wald gehört euch wieder ganz allein. Oder ihr
sagt nichts. Dann könnte ich auf die Idee kommen, zu bleiben.
Und dann befehle ich dem Wald. Entscheidet euch.«
Die Feen verschwanden. Keil war allein auf der Lichtung. Und
plötzlich begriff er, was er getan hatte. Er hatte keine Macht
gewonnen. Die Macht hatte ihn gewonnen. Egal, wie sich die Feen
entschieden, er mußte fort aus diesem Wald. Das war es, was
er immer hatte vermeiden wollte und wovor ihn Drachenfliege, sein
alter Meister, immer gewarnt hatte. Das erste Mal war Zufall
gewesen. Aber nun hatte er einen Namen in Erfahrung gebracht mit
dem direkten Ziel, Macht auszuüben. Und genau das mußte
er jetzt vermeiden.
Bedrückt schlich er zurück zu der Lichtung, auf der die
anderen schliefen, und legte sich hin. Aber er fand keine Ruhe. Ihm
fielen immer neue Sachen ein, die er dem Wald befehlen konnte -
sein Laub abzuwerfen, den Schutz für die Feen aufzuheben, das
Schwert in der Höhle freizugeben, damit Felder es bekommen
konnte … Er versuchte, alle Gedanken an Thíl-en-la
… den Th'enlathíel aus seinem Kopf zu
verbannen, aber es ging nicht. Der Name war alles, woran er denken
konnte. Schließlich nahm er seine Flöte und spielte
leise traurige Melodien, bis der Morgen graute. Im Spiel gelang es
ihm fast, den Wald zu vergessen.
Er spielte noch immer, als am nächsten Morgen die Sonne
aufging und die anderen erwachten. Der Kampf mit sich selbst hatte
ihm mehr erschöpft als der fehlende Schlaf. Das würde er
nicht noch einmal machen. Keine Namen mehr von Dingen, die
größer waren als er selbst. Ein zweites Mal würde
er nicht durchstehen. Und auch jetzt war es noch nicht vorbei. Noch
waren sie nicht aus dem Wald heraus. Noch hatten die Feen sich
nicht entschieden.
Die Laune der anderen schien über Nacht eher noch gesunken zu
sein.
»Wohl auf zu einem weiteren Tag in Gefangenschaft«,
brummte Felder, während er Lonnìl wachrüttelte.
»Es gibt nichts zu tun, aber das heißt noch nicht,
daß du dich auf die faule Haut legen kannst. Nutzen wir die
Zeit. Wo ist unser Schwert?«
Während Lonnìl langsam aufstand, begann Felder bereits
mit seinem Aufwärmtraining. Aber schon nach den ersten
Liegestützen gab er auf. »Bringt ja doch nichts. Morren!
Wo bleibt unser Kräutertee?«
»Ich habe dir gesagt, du sollst den Mund halten!«
schrie Morren mit heiserer Stimme. Er sah zum Fürchten aus.
Die ruhige Überlegenheit war aus seinem Gesicht verschwunden,
und von der Erkältung waren seine Lippen aufgesprungen, die
Augen gerötet. Wut und fanatischer Eifer standen in Morrens
Züge geschrieben. Um nichts in der Welt würde der
Zauberer von seinem Ziel abweichen, aber er zermürbte sich
selbst, ganz ohne das Zutun der Feen. Keil fragte sich, ob ihm das
selbst bewußt war. Die Feen würden den Kampf gewinnen,
denn dies war ihre natürliche Umgebung. Aber Morren war hier
in seiner menschlichen Gestalt nicht mehr als ein Mensch. Wenn er
wie ein Mensch krank werden konnte, dann würde er ohne Magie
auch altern wie ein Mensch. Und er konnte auch keine andere,
weniger sterbliche Gestalt annehmen. Das mußte der Grund
sein, warum die Zauberer bis jetzt so wenig über die Feen
erforscht hatten. Sie vermieden es aus gutem Grund, sich in ihre
Nähe zu begeben. Keil konnte dem Wald sagen, daß er
Morren seine Zauberkräfte zurückgeben sollte …
Nein, das würde er nicht. Er hatte den Namen des Waldes nur
erfahren, um ihm einen einzigen Befehl zu geben. Mehr würde er
nicht tun. Und er hatte sich jetzt gut genug in der Gewalt, um es
wirklich bei diesem einzigen Befehl zu belassen. Er konzentrierte
sich fest auf den Namen und seinen Willen.
Laß uns ziehen. Halte uns nicht zurück.
Der Wald lachte ihn aus. Ein kleines Geschöpf war gekommen
und hatte Macht über ihn gewonnen, und alles, wozu es sie
nutzen wollte, war die Bitte um freien Abzug. Aber der Wald
würde ihm gehorchen. Sie konnten gehen. Keil hoffte, daß
die Feen kamen, bevor er es Morren selbst beibringen
mußte.
Die anderen hatten zum Glück nichts gemerkt.
»Jetzt habe ich ausnahmsweise einmal morgens schon Appetit,
und dann gibt es nichts zu essen!« beschwerte sich Felder.
»Es kann doch nicht die Absicht der Feen sein, uns verhungern
zu lassen? Diese Beeren sehen eßbar aus. Ich bin sicher, sie
hätten nichts dagegen …«
In dem Moment erschienen die Feen. Keil atmete erleichtert
auf.
»Zauberer!« riefen sie. »Hey,
Zauberer!«
Morren, der mit verschränkten Armen im Kreis gegangen war und
auf den Boden gestarrt hatte, blieb stehen. »Was wollt ihr
nun schon wieder?«
»Wir haben genug von euch! Ihr seid langweilig. Macht,
daß ihr wegkommt. Und nehmt euren albernen Prinzen am besten
mit!« Sie hatten Keils Absicht begriffen. Niemand sollte mehr
behaupten, sie wären dumm.
Es war unglaublich, wie schnell neue Lebensfreude in den Zauberer
kam. Er hatte gesiegt. »Ha!« schrie er triumphierend.
»Ha! Wir sind frei!«
Keil blickte zu den Feen hinüber. Sie blinkte heller und
dunkler, als ob sie ihm zuzwinkern wollten. Er nickte. Jetzt
würde er sein Versprechen wahr machen und nichts an ihrem Wald
verändern. Wahrscheinlich wußten die Feen selbst, wie
froh er darüber war.
»Verschwindet!« riefen die Feen und warfen wieder mit
Eicheln. »Seht zu, daß ihr eure Flöte findet! Wir
wissen, wo sie ist! Aber wir sagen es nicht!«
»Ihr müßt es uns verraten!« sagte Keil.
»Sonst -« Er brach ab. Fast hätte er sich
versprochen. Die Feen lachten nur.
»Ihr müßt es schon selbst herausfinden! Sie ist
da, wo ihr sie niemals suchen würdet!«
Mit einem letzten hohen Kichern verschwanden die Feen. Sie
tauchten nicht mehr auf, bis die Gefährten sicher den Waldrand
erreicht hatten.
Sie wanderten an diesem Tag
nicht mehr weiter. Nach den Erlebnissen im
Th’enlathíel hatten sie für diesen Tag erst
einmal genug erlebt. Mit Morren ging eine Veränderung vor,
kaum daß sie den Wald hinter sich gelassen hatten. Keil
konnte förmlich sehen, wie seine Macht zu ihm
zurückkehrte. Mit dem Finger deutete er auf Felder, und als
dieser rückwärts gegen den nächsten Baum stolperte,
erstrahlte das Gesicht des Zauberers mit einem Lächeln. Felder
hatte vielleicht seinen Namen verloren, aber verzaubern konnte man
ihn noch immer. Dann erst verschwanden die Spuren der
Erkältung, als ob es sie nie gegeben hätte.
»Menschen!« rief Morren. »Ich wüßte
gerne, wie es euch gelungen ist, die Welt zu erobern, wenn euch
beim kleinsten Regen eure Nasen den Krieg erklären! Um nichts
in der Welt möchte ich das noch einmal durchmachen
müssen.«
Wie zur Antwort nieste Lonnìl, und der Zauberer bedachte
ihn mit einem mitleidigen Blick. »Kleine Heilung
gefällig?« fragte er lächelnd. »Wie
hättest du es denn gerne - mit Zauberei, oder lieber mit
Kräutertee?«
»Tee, bitte«, sagte Lonnìl. »Ich
möchte nicht verzaubert werden.«
Keil konnte es ihm nicht verdenken, und auch wenn Morren ein wenig
enttäuscht zu sein schien, hatte er sicher auch mit nichts
anderem gerechnet - sonst hätte er den Tee gar nicht erst
angeboten. Er setzte das rasch zusammengesuchte Feuerholz mit
dramatischer Geste in Brand, zog den Topf hervor und setzte das
Teewasser auf.
»Also«, sagte Felder, als der Tee fertig war und er
ihn mit einem Spritzer aus seiner Flasche gewürzt hatte.
»Jetzt noch mal ganz langsam, für die Menschen unter
uns. Was haben die Feen denn nun gesagt?«
»Sie wissen, wo die Flöte ist«, erklärte
Keil. »Aber sie haben uns nicht verraten, wo.«
»Doch, das haben sie«, sagte Morren. »Auf eine
gewisse Art halten die Hohen Völker tatsächlich zusammen.
Die Dunklen haben nicht gelogen, als sie uns zu den Feen schickten,
obwohl sie sicher auch wußten, daß wir die Harfe
unmöglich mitnehmen konnten. Und genauso haben uns die Feen
einen weiteren Hinweis gegeben. Aber wir dürfen eines nicht
vergessen: Sie sind die Feen, und keine Fee gab jemals irgend
jemandem eine klare Auskunft. Zum Glück sind wir alle
intelligente Leute - zumindest einige von uns.«
»Aber sie haben nur gesagt, die Flöte ist da, wo wir
sie niemals suchen würden«, wiederholte Keil.
»Na, das ist doch wenigsten etwas. Da haben wir jetzt zwei
Möglichkeiten: Entweder, wir stellen uns mal ganz dumm. Oder
wir fragen Felder.«
»Muß ich mich jetzt beleidigt fühlen?«
fragte Felder.
»Nur, wenn du Lust dazu hast«, sagte Morren.
»Tatsache ist, das du eine besondere Gabe hast, simpel zu
denken und damit trotzdem Sachverhalte zu verstehen, die jeden
anderen verwirren würden. Ich denke da beispielsweise an deine
Ausführung über die Zeit, die sich aufblähen und
dehnen läßt wie eine Schweinsblase. Das fand ich sehr
anschaulich.«
»Vielen Dank«, sagte Felder. »Das war das erste
und netteste Kompliment, das du mir jemals gemacht hast. Aber wann
soll ich das mit der Schweinsblase gesagt haben? Egal. Nicht weiter
wichtig. Ich wollt also, daß ich denke. Nun gut. Eh …
Was genau suchen wir?«
Die anderen starrten ihn verwirrt an, aber Felder war seine Frage
vollkommen ernst.
»Was genau suchen wir? Wir sind hierher gekommen, um eine
Harfe zu finden, die sich bei näherer Betrachtung als Wald
herausstellte. Vorher waren wir bei einer Laute, die wir aber nie
zu Gesicht bekommen haben, und davor bei einer Trommel, die
womöglich ein Berg war … vielleicht die Feste
selbst.«
Morren schlug so fest mit seiner Hand auf die Erde, daß
Funken aus dem Feuer aufstoben, und fluchte. Keil hoffte, daß
er sich diese Unart sich nicht im Th’enlathíel
angewöhnt hatte. »Er hat recht! Das ist es, was
Dolua’d’llán bedeutet! Nicht
‘Trommel-Hort’, sondern doch einfach nur
‘Hort-Trommel’. Keine Sprache der Welt bietet mehr Raum
für Mißverständnisse, als die Hohe! Kein Wunder,
daß die Elben so sehr darauf beharrten, keine Trommel zu
verwahren! Aber rede nur weiter, Felder. Es wirkt schon.«
»Suchen wir jetzt eine Flöte?« fuhr Felder fort,
»oder nur eine metaphorische Flöte? Wenn mir zum
Beispiel ein Mann sagt ‘Ich habe eine dicke, lange
Flöte’, dann weiß ich, daß er auf eine
andere Art von Musik abspielt und fange eine Schlägerei mit
ihm an. Und von Flöten aus Eis habe ich sowieso noch nie
gehört. Sie kann ein riesiger magischer Eiszapfen sein oder
sonstwas. Vielleicht schmilzt sich auch, wenn man sich ihr nur
nähert. Die Frage ist, ob man sich dann überhaupt die
Mühe machen soll, sie zu suchen.«
»Die Mühe, wie du es zu nennen beliebst«,
erwiderte Morren, »müssen wir uns in jedem Fall machen.
Wir haben uns darauf eingelassen, sie zu finden, egal, wie sie
aussieht und inwieweit sie transportabel ist. Und du wirst mir doch
zustimmen, daß man eine Sache, die man einmal angefangen hat,
auch zu Ende bringen sollte. Man kann eine Sache nicht ungeschehen
machen. Und aus diesem Grund muß man auch einen Weg bis zu
seinem Ende gehen. Was sagst du dazu?«
»Ich sage dazu, daß ich Fangfragen nicht
beantworte.« Felder nippte nachdenklich an seinem Tee, der
vermutlich inzwischen kalt geworden war. »Also haben wir uns
dafür entschlossen, daß wir ein Instrument suchen. Nun
gut. Wo würde ich eine Flöte aus Eis verstecken, wenn ich
nicht will, daß jemand sie findet? Da gibt es eigentlich nur
zwei Möglichkeiten. Entweder bringe ich sie an einen Ort, an
dem alles aus Eis ist, damit sie nicht von ihrer Umgebung zu
unterscheiden ist - und ich hoffe inständig, daß dies
diejenigen welchen nicht getan habe, denn ich hasse Kälte -,
oder aber ich gehe dorthin, wo die größte Hitze weit und
breit herrscht, weil niemand im Feuer nach etwas aus Eis suchen
würde. Es wäre ja auch irgendwie Wahnsinn, nicht wahr?
Eis im Feuer?« Der Gedanke schien ihn so sehr zu erheitern,
daß er glucksend seinen Tee verschüttete, anstatt zu
sehen, wie der Zauberer zum ersten Mal, seit Keil ihn kannte, einer
anderen Person einen bewundernden Blick zuwarf. Es dauerte nur
einen Augenblick lang, aber Keil wußte, daß vieles
nötig war, um das spöttische Lächeln aus Morrens
Gesicht zu vertreiben.
»Du hast recht. Es ist Wahnsinn. Ich wäre niemals
selbst auf die Idee gekommen, aber … habt ihr jemals von den
Glühenden Höhen gehört?«
Keil nickte. Der Name kam in einem alten Lied vor. Aber wo sie
lagen, wußte niemand außer Morren.
»Vor langer, sehr langer Zeit, noch bevor die Hohen kamen,
da herrschte in dieser Welt die Zeit der Drachen. Noch weiter davor
war die Zeit der großen Bäume, aber das ist eine andere
Geschichte. Die Drachen lebten sehr langsam, und ihre Herrschaft
dauerte lange an, aber dann kamen die Hohen, und die Drachen
gingen. Was aus ihnen wurde, ist eines jener kleinen Geheimnisse,
auf die wir Zauberer so stolz sind, aber die offizielle Version
ist, daß sie in die Berge gingen und sich dort in Höhlen
zurückzogen. Später formten die Hohen das Angesicht der
Welt, aber einige dieser Höhleneingänge existieren noch
heute, und es herrscht in ihnen eine so große Hitze,
daß sich die Berge selbst an ihrer Außenseite immer
warm anfühlen. Darum nennt man sie die ‘Glühenden
Höhen’. Die Drachen waren die Herren des Feuers,
müßt ihr wissen.«
»Dann mußt du dich in dieser Zeit wohlgefühlt
haben«, bemerkte Felder, ohne zu staunen.
»Ja, das habe ich. Und ich habe eine Menge von ihnen
gelernt. Es hat niemals wieder derart weise Geschöpfe gegeben
- und derart langsame. Im Vergleich zu ihnen waren die Hohen
mindestens so hektisch, wie uns heute die Menschen erscheinen -
oder euch Menschen die Ameisen.«
»Willst du damit sagen, daß in Zukunft die Ameise den
Menschen ablösen wird?« fragte Felder.
»Vielleicht … Es ist mit jeder Herrschergeneration
schneller geworden. Die Bäume waren sehr verärgert, als
die Drachen anfingen, überall herumzuwuseln.«
»Und was war vor den Bäumen?« fragte Felder, die
Augen starr auf das Feuer gerichtet, als versuche er, darin die
Vergangenheit sehen zu können.
»Das Meer«, antwortete Morren. »Eine lange,
lange Zeit.«
»Damals hast du aber noch anders ausgesehen als
heute.«
»Ja. Feucht.«
Felder schluckte. »Und was … war vor dem
Meer?«
»Ich könnte jetzt immer weiter in der Zeit
zurückgehen. Es hatte immer ein davor gegeben, aber das
würde zuviel Zeit in Anspruch nehmen. Die Welt ist älter,
als ihr euch vorstellen könnt. Versucht es gar nicht erst.
Eure kleinen Köpfe könnten platzen.«
»Mhm«, machte Felder und starrte weiter in die
Flammen. »Und wie schnell sind die Zauberer?«
»So schnell, wie wir wollen.«
Etwas in seiner Stimme jagte Keil einen Schauder über den
Rücken und brachte Felder dazu, nichts weiter dazu zu sagen,
sondern das Thema zu wechseln. »Und du meinst also, wir
sollten in diesen Glühenden Höhlen suchen? Immer noch
besser als ewiges Eis, würde ich sagen.«
»Wir müßten monatelang nach Norden reisen, um ins
ewige Eis zu gelangen, und dort wimmelt es außerdem von
Trollen«, entgegnete Morren. »Die Glühenden
Höhen - nicht Höhlen - dagegen könnten wir
schon in einem Monat erreichen, wenn wir Glück
haben.«
»Und du meinst, die Flöte könnte dort sein?«
fragte Schwinge.
»Sie kann überall sein. Ich halte es nur für
möglich, daß sie dort ist. Irgendwo müssen wir
anfangen zu suchen, und nachdem wir die anderen Instrumente nicht
bekommen haben, ist es sehr wichtig, daß wir zumindest die
Flöte finden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte. Aber ich fand
Felders Überlegungen auf ihre Art sehr
schlüssig.«
Morren entnahm seiner Tasche die zusammengerollte Karte, um ihnen
zu zeigen, wo die Glühenden Höhen lagen und wie sie am
schnellsten dorthin kommen konnten.
»Wir müssen nur lange genug nach Südosten reisen,
dann sind wir schon am Ziel«, erklärte der Zauberer und
fuhr mit seinem Finger eine unsichtbare Linie auf der Karte
entlang. Plötzlich verharrte er. »Wollen wir auf dem
sichersten Weg reisen, oder auf dem direkten?«
»Wie groß ist der Unterschied?« fragte
Lonnìl.
»Nun, ich bin mir nicht einmal im Klaren darüber, ob
nun der direkte Weg überhaupt gefährlich ist, und er ist
ein ganzes Stück kürzer. Aber er führt uns direkt
hier entlang.« Morren winkte Felder zu sich
herüber. »Kannst du Karten lesen?«
»Ich kann Karten lesen - aber nicht diese Schrift.«
Felder blickte kopfschüttelnd auf die Elbenrunen, mit denen
alle Eintragungen aufgezeichnet waren. »Was ist
dort?«
»Dieser kleine Landstrich dort - nicht besonders viel im
Vergleich zum Rest der Welt und manchen anderen Königreichen -
ist Thoria. Ich weiß nicht, ob du gerne dort durch
möchtest. Immerhin hast du es … abgetreten.«
Felder schluckte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Wenn es nach mir ginge, müßten wir nicht
unbedingt den direkten Weg gehen. Aber ich richte mich da voll und
ganz nach den Elfen. Es ist ihre Flöte. Ich bin nur der
fröhliche Reisekamerad.« Er sah alles andere als
fröhlich aus, eher nervös und angespannt, aber er grinste
die anderen an, als ob nichts sei.
»Ich denke, wir sollten den schnellsten Weg nehmen«,
sagte Schwinge. »Wir haben schon den ganzen Frühling
vergeudet, und bis es Winter ist, müssen wir wieder in den
Wäldern sein. Wenn die Flöte nicht in den Glühenden
Höhen ist, brauchen wir noch mehr Zeit, um herauszufinden, wo
sie statt dessen ist. Natürlich ist es ein Risiko, daß
wir in Thoria möglicherweise wieder auf die Dunklen treffen.
Aber das müssen wir eingehen.«
»Ich bin derselben Ansicht«, meinte Morren. »Und
ich muß zugeben, daß mich der Gedanke daran, wie es
heute in Thoria aussehen mag, eher anzieht als abschreckt. Felder,
du mußt nicht mit uns kommen, wenn es dir Probleme bereitet.
Was denkst du, Keil?«
Keil nickte nur. Er wollte nicht zugeben, daß er furchtbare
Angst davor hatte, noch einmal den Dunklen zu begegnen, wenn selbst
Felder bereits war, sich ihnen zu stellen. Auch Lonnìl war
zwar skeptisch, hatte aber gegen die Argumente nichts einzuwenden.
Natürlich war er bereit, Schwinge überallhin zu
folgen.
»Nach Thoria, also«, sagte Felder. »Ist
vielleicht auch das Beste. Irgendwie muß ich wissen, was die
Dunklen noch davon übrig gelassen haben.«
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