Die Tage vor meinem sechzehnten
Geburtstag verbrachte ich fast ununterbrochen auf dem
Ãœbungsplatz, und die Nächte auch, bis
es Vaenris zuviel wurde. Er schmiß sein Schwert zu
Boden, seinen Schild hinterher, und stapfte davon, so
daß ich wohl oder übel hinterher
mußte, um mit ihm zu sprechen. Ihm hinterherzurufen,
ihn warten zu heißen - das brachte nichts,
dafür kannte ich ihn zu gut. Aber ich nahm mein
Schwert mit. Ein Ritter legte sein Schwert niemals ab,
außer zum Schlafen, und ich war näher
daran, ein Ritter zu werden, als jemals zuvor. An meinem
sechzehnten Geburtstag -
Aber ich fühlte mich noch nicht wie ein Ritter, ich
war zu jung, zu unsicher. Daß dies alles an einem Tag
plötzlich anders sein sollte, konnte ich mir kaum
vorstellen.
Nur die Söhne des Herzogs wurden mit sechzehn zum
Ritter geschlagen. Alle anderen mußten warten, bis sie
einundzwanzig waren, um sich der Prüfung zu stellen.
Die Prüfung. Sie hing wie ein
dräuender Schatten über mir. Ich
wünschte mir plötzlich, auch noch
fünf Jahre warten zu können, dabei
hatte ich früher immer dem großen Tag
entgegengefiebert und die Jahre
rückwärts gezählt.
»Was sorgst du dich?« fragte Vaenris.
»Du wirst die Prüfung bestehen, egal,
wie du dich anstellst.« Vaenris hatte gut reden -
er mußte die Prüfung ja nicht
machen! Nicht jetzt, und nicht in drei Jahren - auf Vaenris mochte
im Leben noch vieles warten, aber ein Ritterschlag war nicht
darunter. Und darüber schien er froh.
Der Ort, an der er mich führte, war sein
Kellerversteck - ein alter Lagerraum, in dem sich leere
Fässer stapelten, mit denen niemand mehr etwas
anzufangen mußte. Vaenris hatte dort
umgeräumt, sich einen gemütlichen
Winkel eingerichtet, an den er sich zurückziehen
konnte, wenn er nicht in seinem Zimmer gefunden werden wollte. Hier
bewahrte er auch jene Dinge auf, von denen ich nicht wissen wollte,
wo er sie herhatte - Dinge, die, wie Vaenris mir
erklärte, im Hafen verloren gingen, von Schiffen
fielen, und dergleichen. Ich fragte nicht nach, und ich
erzählte auch Sybald nichts davon, aber manchmal
glaubte ich fast, daß mein Vetter ein Schmuggler war.
Der Gedanke gefiel mir nicht, aber mein Bruder war ein Dieb, und
hatte nicht selbst Sybald seine Geheimnisse?
»So«, sagte Vaenris. »Ich
habe beschlossen, daß du ein Bier
willst.«
Ich wollte natürlich kein Bier, aber ich
protestierte nicht, als Vaenris zwei Krüge hervorzog
und eine Kiste, aus der er einen sorgfältig
verkorkten Lederschlauch nahm. »Kein
Angst«, sagte Vaenris. »Der ist nicht vom
Schiff gefallen. Hab ich gekauft.« Er
füllte einen Krug und drückte ihn mir
in die Hand. »Runter damit! Das kann man ja nicht mehr
ertragen.«
Ich nickte. Das Bier war angenehm und erfrischend,
kühl wie der Keller, wenn auch vielleicht schon
etwas abgestanden.
»Und?« fragte Vaenris, nachdem ich
pflichtschuldig aufgetrunken hatte »Wovor hast du
solchen Schiß? Mach dir vielleicht Sorgen wegen des
Rituals, aber das Turnier gewinnst du, so oder so. Wer ist dein
Gegner?«
»Baron Marlon«, antwortete ich.
»Marlon Tarell.« Vaenris pfiff durch die
Zähne. Wir hatten beide beim letzten Turnier mit
anerkennender Bewunderung gesehen, wie Marlon jeden Gegner mit
Leichtigkeit besiegte. Zwar zu Pferd, aber im Schwertkampf, Mann
gegen Mann, war er kaum schlechter.
»Wo ist dein Problem?« fragte Vaenris
und schenkte uns beiden nach. »Haus Tarell ist euch
treu ergeben. Der Mann ist loyal.«
»Ich muß gewinnen«,
entgegnete ich.
»Du wirst gewinnen«, sagte
Vaenris. »Hat noch nie ein Herzog
verloren.«
»Ich muß richtig
gewinnen«, sagte ich. Wer das Turnier verlor, durfte
nicht das Ritual, den zweiten Teil der Prüfung,
ablegen. Er ging in Schande heim, aber im nächsten
Jahr durfte er wiederkommen und es noch einmal versuchen, auf
eigene Gefahr, wieder verlacht zu werden. Doch wer das Turnier
gewann, weil sein Gegner ihn gewinnen ließ,
für den gab es keinen zweiten Versuch. Er
würde für alle Zeit als
Schwächling dastehen.
Wieder pfiff Vaenris. »Manchmal bist du schlauer, als
man denkt. Wie auch immer. Wenn du mich fragst, mußt
du dir da keinen Kopf machen. Du bist ein verdammt starker
Kämpfer, was das angeht. Aber ich habe dich ja auch
gut unterrichtet.«
Wir lachten beide, Vaenris war wie ich Sybalds
Schüler, aber wir hatten doch sicher beide
voneinander gelernt. Und darum ging es ja auch - ich wollte Sybald
stolz machen, ein Versagen von mir wäre hart, allzu
hart auf ihn zurückgekommen.
Vaenris lehnte sich zurück auf seiner Bastmatte und
verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Das Ritual«, sagte er.
»Davor solltest du Angst haben.«
Das Ritual. Der Löwenkelch. Der geheimnisvolle zweite
Teil der Prüfung. Das Turnier fand immer zur
Mittagsstunde statt, das Ritual um Mitternacht. Ich war noch
niemals dabeigewesen, weil Sybald es mir nicht erlaubte, aber
Vaenris, der die Prüfung nie ablegen durfte, konnte
schon dabei zusehen, vielleicht als Trost. Der
Prüfling mußte vor ein Tribunal von
Rittern treten und all ihre Fragen beantworten, ohne zu
zögern oder zu lügen. Und um zu zeigen,
daß er wirklich nicht log, gab es den
Löwenkelch.
Den Kelch hatte ich schon gesehen, schon oft, er war nichts
Geheimes - ein stolzes Zeichen unseres Hauses. Ein
großer, schwerer Bronzekelch, am Fuß
eingefaßt mit vier Löwen, denen er seinen
Namen verdankte. Man konnte ihn nur mit beiden
Händen halten, aber er war auch nicht gedacht, um
daraus zu trinken, bis auf ein Mal im Leben: Bei der
Ritterprüfung. Dann wurde er gefüllt
mit einem Trank der Wahrheit, einem geheimnisvollen
Gebräu, über dessen Herkunft ich
nichts wußte - es klang nach Hexerei, nach dem
Aberglauben der Einheimischen, und es war mir unheimlich.
»Vor dem Ritual habe ich keine Angst«,
sagte ich. Sybald hatte mir versichert, daß ich vor
dem Ritual keine Angst haben mußte. »Wer
nicht lügt, muß die Wahrheit nicht
fürchten«, waren seine Worte.
Vaenris lachte mich aus, als ich ihm das erzählte.
»Und das glaubst du wirklich?« rief er.
»Das sieht dir ähnlich. Aber denk doch
mal nach.« Bevor ich protestieren konnte,
goß er mir mehr Bier in den Krug.
»Wahrhaftigkeit«, sagte er dann.
»Das ist doch eine Rittertugend, nicht wahr? Soviel
habe selbst ich mir gemerkt.«
Ich nickte, und nippte an meinem Bier.
»Also«, redete Vaenris weiter,
»wer ein Ritter werden will, muß sowieso
immer die Wahrheit sagen. Ich verstehe, daß sie das
auf die Probe stellen wollen bei der Prüfung. Aber
warum nehmen sie dann ein Gebräu, mit dem niemand
mehr lügen kann? Hast du
darüber schon einmal nachgedacht?«
Nein, das hatte ich nicht. Aber ich mußte zugeben,
daß Vaenris, wie immer, Recht zu haben schien. So
schüttelte ich nur zu Kopf, und wartete auf eine
Antwort.
Vaenris grinste und deutete auf den Krug, und sprach nicht eher
weiter, als bis ich getrunken hatte. Dann nickte er zufrieden.
»Das ist so«, sagte er.
»Erst mal gehen sie davon aus, daß du
sowieso immer die Wahrheit sagst. Wenn sie dir den
Löwenkelch reichen, dann stellen sie Fragen, bei denen
würdest sogar du
lügen.«
»Ich lüge nicht«,
erwiderte ich fest.
Vaenris lachte nur. »Hab dich noch nie
lügen hören. Aber es gibt Fragen, die
beantwortest du einfach nicht. Und das mußt du
dann.«
»Ich habe keine Angst«, sagte ich und
merkte, daß das schon beinahe eine Lüge
war. Ich errötete.
»Und wenn sie dich nach deinem Bruder
fragen?« Vaenris Stimme war leise, und
plötzlich bedrohlich. »Wenn sie dich
fragen, wo er ist?«
»Dann sage ich, ich weiß es
nicht.« Das stimmte. Keine Lüge.
»Und wenn sie fragen, warum er gegangen
ist?«
Ich sagte nichts. Das konnte ich nicht beantworten.
»Du mußt antworten«, sagte
Vaenris. »Denk an den
Löwenkelch.«
»Ich verrate meinen Bruder nicht«, sagte
ich. »Ich habe einen Eid geleistet. Der Eid eines
Ritters ist heilig. Kein Ritual kann mich zwingen, einen Eid zu
brechen.«
Vaenris nahm mir den Krug aus der Hand, und ich
fürchtete schon, er würde ihn wieder
auffüllen, doch das tat er nicht, zum
Glück. »Du solltest weniger
trinken«, sagte er grinsend. »Das macht
dich so hochtrabend. Eid eines Ritters! Du warst
zwölf. Ein Ritter!«
Jetzt wurde ich doch wütend. Was spielte Vaenris da
mit mir? Wollte er sich nur lustig über mich machen?
Doch ich blieb ruhig. Ein Ritter mußte lernen, seinen
Zorn zu zügeln. Sonst richtete sich nur allzu
schnell sein Schwert gegen ihm selbst. Vielleicht ging es Vaenris
darum? Ich blickte ihm fest ins Gesicht.
»Dann«, sagte ich, »werde
ich den Eid eben jetzt noch einmal ablegen. Ich bin zwar immer noch
kein Ritter, aber so nah dran, wie ich nur irgendwie sein kann. Und
du bist mein Zeuge.«
Vaenris zuckte die Schultern. »Mach! Davon kann ich
dich ja kaum abhalten.«
»Ich schwöre«, sagte ich,
»bei meiner Ehre und bei der Ehre meines Hauses, ich
schwöre vor Gott und vor dem König,
niemals und niemandem zu verraten, was zu behalten ich geschworen
habe. Und wenn es mein Ende ist, soll es mein Ende sein, aber das
Geheimnis meines Bruders ist mein Geheimnis und soll mit mir
untergehen.«
»Puh«, sagt Vaenris. »Das
nenne ich einen langen Eid. Wollen wir hoffen, dein Gott hat dich
gehört und nimmt dich beim Wort, wenn es drauf
ankommt. Jetzt mußt du das nur noch dem
Löwenkelch erklären.«
Ich nickte zuversichtlich, aber insgeheim war ich noch immer
voller Angst. Ich wollte und würde Jarvis nicht
verraten - aber nun konnte es bedeuten, daß mich das
Tribunal ablehnen würde. Daß ich kein
Ritter mehr werden konnte, nur ein ewiger Knappe, wie Vaenris. Und
dann blieb Sybald Herzog für alle
Zeiten… Ich schluckte. »Das ist es
mir wert«, sagte ich leise. »Wenn Jarvis
mir das nicht wert wäre - was für ein
Bruder wär ich dann?«
Vaenris blickte mich einen Moment an, sehr ernst, dann umarmte er
mich. »Das wollte ich von dir
hören.« Seine Stimme war so ernst, wie
man sie nur selten zu hören bekam. »Dann
hab ich jetzt etwas für dich. Nur geliehen, aber
glaub mir, das geb ich bestimmt nicht irgendwem.«
Er griff unter seine Tunika und zog eine Art
Anhänger hervor, den er an einer Lederkordel um den
Hals trug. Hatte er den schon länger? Ich
wußte es nicht. Vaenris war normalerweise niemand, der
Schmuck trug. Aber das sah auch nicht wirklich aus wie Schmuck. Mir
war etwas unheimlich, als Vaenris es mir um den Hals
hängte, und ich getraute mich nicht, es
anzufassen.
»Was ist das?« fragte ich.
Vaenris lächelte. »Ich
weiß es nicht genau«, sagte er.
»Aber Savenn hat es mir geschenkt, dann wird es wohl
etwas Gutes sein.«
»Also eine Art
Glücksbringer?« fragte ich
vorsichtig.
Vaenris schüttelte den Kopf. »Das
auch, aber mehr als das - es ist magisch. Wenn du das
trägst, kann niemand deinen Willen
brechen.«
Ich wagte es immer noch nicht, den Anhänger
anzufassen. Jetzt fürchtete ich mich erst recht
davor. Ein Hexenanamulett! ‘Wenn Sybald das zu
sehen bekommt’, schoß es mir durch
den Kopf. Und ‘Jetzt weiß ich
endlich, warum Vaenris immer so stur ist’. Ich
konnte nichts sagen. Ich war völlig verwirrt.
»Du mußt es direkt auf der Haut
tragen«, redet Vaenris weiter und stopfte es mir in
den Kragen. »Ãœber dem Herzen. Sonst
wirkt es nicht.« Er nickte zufrieden.
»Spürst du etwas?«
Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht wirkte es bei
mir nicht?
»Dann ist es gut. Ich hatte Schiß,
daß es vielleicht brennt oder kribbelt. Weil es dann
nicht von dir getragen werden will. Aber so klappt das. Und du
gibst es mir morgen Nacht zurück, nach dem Ritual.
Angst mußt du jetzt keine mehr
haben.«
Ich fühlt den Anhänger warm auf der
Haut. Aber nicht unangenehm. Er war weich, aus einer Art Leder -
ich sollte ihn mir bei Gelegenheit in Ruhe ansehen, aber nicht
jetzt. Erst wollte ich Vaenris danken. Aber dann siegte doch mein
Mißtrauen.
»Soll das heißen,
die… Magie in dem Ding ist
mächtig?« fragte ich.
Vaenris nickte. »So mächtig wie der
Löwenkelch, und
mächtiger.«
Ich nestelte an dem Lederband, das sich plötzlich in
meinen Hals einschnitt. »Ich danke dir, Vaenris - aber
ich kann das nicht tragen.«
»Warum nicht? Du willst doch -«
»Ich will nicht schummeln«, sagte ich
fest.
»Das ist kein Schummeln!« Hoffentlich
wurde Vaenris nicht böse, weil ich seine Gabe
ablehnte! »Denk nach! Was verlangen die Regeln?
Daß du den Löwenkelch leerst und dann die
Fragen des Tribunals beantwortest. Nirgendwo steht geschrieben,
daß der Trank auch wirken
muß!«
»Aber -«, sagte ich.
»Du schummelst nicht. Weil du doch sowieso immer die
Wahrheit sagst! Ist es dann nicht eine viel
größere und schwerere Aufgabe - alle
Fragen nach deinem Gewissen zu beantworten, und nicht, weil so ein
blöder Trank sie dir eingibt?«
Langsam, sehr langsam nickte ich. Ich wußte nicht, ob
Vaenris wirklich Recht hatte, aber ich wollte ihm glauben, weil ich
selbst keine bessere Lösung hatte. Etwas lahm sagte
ich: »Weißt du - selbst ohne das Ding
bist du ganz schön stur.«
Vaenris lachte. »Vielleicht wirkt es
nach?« Dann nahm er mich beim Arm und zog mich zur
Treppe. »Wie auch immer. Lust auf noch einen
Kampf?«
Ich folgte ihm, und mit jedem Schritt schwand meine Angst vor dem
morgigen Tag, begriff ich, daß es nichts mehr gab,
daß ich fürchten mußte.
Außer vielleicht, den Kampf gegen Baron Marlon zu
verlieren.
Und dann war es der
nächste Tag, und ich war sechzehn Jahre alt. Ich
erwachte bei Sonnenaufgang und trat an das Fenster, strahlend wach,
ohne einen Hauch von Müdigkeit. Der Tag, der vor mir
lag, war lang wie kein zweiter in meinem Leben, aber ich war
bereit. Draußen lag die Welt, und sie war so
schön in ihrer Kargheit, und ich begriff,
daß ich an keinem anderen Ort sein wollte. Wie auch
immer es in der Alten Heimat sein mochte, wo viel Regen fiel und
Schnee und wo die großen Bäume wuchsen
- meine Heimat war hier. Mein Land. Und an diesem Tag sollte es
wirklich mein Land werden.
Ich lächelte. Im Kopf wünschte ich
Jarvis einen guten Morgen, wie ich es an jedem Tag tat, und dann
gratulierte ich ihm zum Geburtstag. Wo auch immer er jetzt war -
ich hoffte, daß es ihm gut ging, und daß
er vielleicht gerade auch an mich dachte.
Dann nahm ich, etwas zögerlich,
Vaenris’ Anhänger und sah ihn mir
an. Ich hatte gut geschlafen in der Nacht, ruhig und furchtlos -
ich hatte von Savenn geträumt. Vielleicht kam auch
das von dem Anhänger? Es war ein komisches Ding,
geflochten aus Leder und etwas, das ich für Haare
hielt, und nicht wirklich schön anzusehen, aber man
trug ihn ja auch unter der Kleidung. Vielleicht waren das Savenns
Haare? Ich hoffte es. Dann schob ich ihn mir wieder in den
Ausschnitt und verbarg die Kordel unter meinem Kragen, damit es
nicht auffiel. Ich war bereit. Die Prüfungen konnten
beginnen.
Bis zum Mittag nutzte ich die Zeit vor allem, um mich
aufzuwärmen. Zwar war die Burg
angefüllt mit Gästen - es war ein
hoher Tag für die Kolonie, sogar ein Abgesandter der
Königs war gekommen, doch Sybald ließ
keinen von ihnen zu mir, damit ich mich ungestört
vorbereiten konnte. Ich war ihm sehr dankbar dafür.
Von allen Seiten angestarrt zu werden, mochte ich nicht. Zumindest
klopften mir die Männer jetzt auf die Schultern, um
mir zu sagen, wie groß ich geworden war, und
tätschelten mir nicht mehr den Kopf. Ulkige Idee -
einem Ritter den Kopf tätscheln!
Sybald holte mich auf dem Ãœbungsplatz ab.
»Bist du bereit? Hast du schon etwas
gegessen?«
Ich nickte, und schüttelte den Kopf. Nach Essen war
mir wirklich nicht. Aber ich wußte, daß
ich schon etwas im Bauch haben sollte, ehe der Kampf losging -
hungrig kämpfte es sich ebenso schlecht wie satt.
Sybald hatte daran gedacht, und mir etwas Obst und Fleisch
mitgebracht. So mußte ich nicht in der Halle essen und
mich anstarren und ablenken lassen.
»Du solltest jetzt noch einen Moment
verschnaufen«, sagte Sybald. »Marlon
möchte gerne noch ein paar Worte mit dir wechseln, ehe
ihr die Klingen kreuzt.«
»Gut«, sagte ich. Immerhin konnte ich
schlecht zugeben, daß es eine große Ehre
für mich war, gegen Marlon zu kämpfen
- und eine noch größere, sich mit ihm zu
unterhalten.
Ich traf Marlon Tarell im Schatten des Turnierplatzes. Die
Tribünen waren bereits gefüllt mit
Menschen aller Klassen, die gekommen waren, um das Spektakel zu
sehen. Sie lärmten, aber ich saß selbst
oft genug auf der Tribüne und kannte den
vergnügten Lärm - das
gehörte dazu, feuerte die Kämpfer mehr
an, als sie abzulenken.
»Byron Fadar«, sagte Baron Marlon.
»Von heute an also ein Mann.«
»Marlon Tarell«, erwiderte ich.
»Es ehrt mich, meinen ersten Kampf gegen Euch
bestreiten zu dürfen.« Wir verneigten
uns kurz.
»Euer Onkel hat mich selbst darum
gebeten«, sagte Marlon. »Die Ehre liegt
bei mir. Was hätte ich das abschlagen
sollen?«
Er war ein großer, breitschultriger Mann, wo Sybald
eher schmal wirkte. Seine Augen waren blau und von strahlender
Härte, und er musterte mich wie einen
ernstzunehmenden Gegner. Er lächelte dabei. Ich
lächelte zurück und versuchte, meine
Nervosität zu unterdrücken.
Plötzlich begannen meine Hände zu
schwitzen.
»Nur eines wundert mich«, sagte er.
»Natürlich ist der Schwertkampf eine
harte, gefährliche Disziplin, und es steht Euch gut
an, sie zu wählen. Aber die meisten Knappen denken
bei einem Ritter doch als erstes an einen Kämpfer zu
Pferd, und bei einem Turnier an das Lanzenreiten. Wie kommt es,
daß Ihr auf Schwerter am Boden
besteht?«
Warum fragte er das nicht später vor dem Tribunal?
Diese Frage konnte ich leichten Herzens beantworten!
»Ich möchte zeigen, was in mir
steckt«, sagte ich. »Niemand soll
hinterher sagen, ich habe nur wegen eines guten Pferdes gewonnen.
Schwertkampf ist die ehrlichste Disziplin, die ich
kenne.«
Baron Marlon legte eine Hand auf meine Schulter und nickte.
»Ihr mögt kein Lanzenreiten, weil Euer
Vater dabei umgekommen ist, nicht wahr?«
Daran hatte ich nie gedacht, doch nun mußte ich
zugeben, daß auch das stimmte. Und ich hoffte,
daß Marlon das nicht für Feigheit
halten mochte. Doch er lachte mich nicht aus.
»Wenn ich Euch sehe, Byron«, sagte er,
»sehe ich Euren Vater, als er jung war.«
Alt war mein Vater auch nie geworden…
»Ihr seit ihm sehr ähnlich. Und ich
verspreche, ich werde Euch einen ehrlichen Kampf bieten. Und
solltet Ihr mir unterliegen, bin ich gerne bereit, im
nächsten Jahr wieder an dieser Stelle zu
stehen.«
»Das glaube ich Euch gerne«, sagte ich,
erleichtert, daß er den Kampf so ernst nahm wie ich.
»Ich bewundere Eure Schwertkunst. Um so lieber werde
ich euch heute besiegen.«
»Wir werden sehen«, sagte Marlon Tarell.
»Wir werden sehen.«
Ich nickte ihm noch einmal zu, als Vaenris und Sybald mich davon
führten, um mir die Rüstung
anzulegen. Und so traten wir uns auf dem Turnierplatz entgegen wie
zwei Männer von Ehre, als die Sonne ihren
höchsten Punkt erreichte.
Die Leute sprangen von ihren Sitzen auf und jubelten, als ich die
Arena betrat, und im gleichen Augenblick wußte ich,
daß ich verlieren würde. Alle
Selbstsicherheit war plötzlich wie weggeblasen. Meine
Knie zitterten. Mein Schwert war plötzlich wie aus
Blei. Der Schweiß lief mir in die Augen. Mein Helm
drückte. Meine Rüstung zog mich zu
Boden. Vor mir sah ich Baron Marlons Gestalt aufragen,
riesengroß, ein Mann ohne Schatten, strahlend im Licht
der Mittagssonne, die mich nur blendete. In diesem Moment wollte
ich nur noch davonrennen. Wie sehr beneidete ich Jarvis! Es war
nicht nur der Kampf, und das Ritual. Es war das, was danach kam.
Kein Herumalbern mehr mit Vaenris auf dem
Ãœbungsplatz. Keine Unterrichtsstunden mehr bei meinem
Onkel.
Wenn ich diesen Tag überstand, würde
jeder neue Tag neue Prüfungen mit sich bringen, eine
härter als die andere. Ein Herzog lebte nicht von
Turnier zu Turnier. Er mußte regieren, gerecht und
weise. Gerecht sein konnte ich. Aber weise? Ich und weise? Sicher
nicht. Byron der Dummkopf. Wie hatte mein Vater regiert? Das
wußte ich nicht, das wußte sicher kaum
noch jemand. An Sybald würde man sich erinnern,
morgen und übermorgen und die
nächsten Jahre über. Und ich konnte
es ihm nicht nachtun, und ich durfte ihn dann nicht einmal um Hilfe
bitten… Mir war Angst und Bang wie noch nie im
Leben. Mitten auf dem Turnierplatz, mitten unter der Sonne, vor all
den Zuschauern.
Ich senkte den Blick. Und plötzlich passierte
zweierlei. Erst spürte ich eine
plötzliche Wärme auf meiner Brust,
dort, wo mein Herz aufgeregt hämmerte. Es war der
Glücksbringer. Ich begann zu lächeln.
Savenn wollte nicht, daß ich wie ein Feigling dastand
und ans Wegrennen dachte. Waren nicht die Prüfungen,
die Sybald ihr auferlegt hatte, viel härter als
meine? Ich sollte mich schämen, dazustehen und zu
zittern wie ein kleines Kind! Was auch immer auf mich zukam, ich
konnte in meiner Heimat bleiben, in meinem Land, das ich so sehr
liebte!
Gleichzeitig fiel mein Blick auf meinen Schild. Das war
mein Schild, nicht der alte Ãœbungsschild, den
ich sonst immer führte. Ich trug ihn zum ersten Mal.
Sybalds Geburtstagsgeschenk für mich. Ein
großer Stahlschild, er war schwer, aber ich wollte mit
ihm ja auch zuschlagen können wie mit einer zweiten
Waffe, ohne daß er zerbrach. Wie es sich
für einen Ritter gehörte, war mein
Schild verziert mit meinem Wappentier. Ein steigender
Löwe auf weißem Grund. Mein
Löwe. Stolz meines Hauses. Der Löwe war
ich.
Plötzlich war die Angst wie fortgeblasen. Und
während die Menge jubelte, trat ich Marlon Tarell
entgegen als ein Mann.
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