Damals, als die Welt noch neu
war, da war sie ein schöner Ort, aber auch leer, denn
nichts lebte auf ihr als die Götter. Besonders Erde
war einsam und sehr unglücklich: Denn Sonne und Mond
hatten einander, und Meer war still und redete mit niemandem als
sich selbst.
Und so beschloß Erde, sich ein paar eigene Kinder zu
erschaffen: Er nahm Lehm und mengte ihn mit Wasser, um ihn
geschmeidig zu machen, und formte aus diesem Teig vier Kinder, die
er zum Trocknen in das Gras legte. So saß er dort und
wartete, als Sonne auf einer seiner Wanderungen vorbei kam.
»Was tust du dort?« fragte Sonne.
»Was starrst du ins Gras?«
»Ich habe Kinder geschaffen«, sagte Erde
und zeigte sie ihm voll Stolz.
Neid wuchs in Sonne, als er die vier reglosen Gestalten
ausgestreckt im Gras liegen sah, doch er lachte nur und sagte:
»Oh, so wird das nichts - so fehlt ihnen das
Leben!«
Erde blickte zweifelnd Sonne an, dann seine Kinder, und
mußte zugeben, daß Sonne Recht zu haben
schien. »Und was muß ich tun, damit sie
leben?« fragte er dann.
Sonne überlegte kurz, dann sagte er:
»Ich will es dir verraten, wenn du mich eines von
ihnen haben läßt.«
Erde zögerte, doch ohne Sonnes Rat
würde keines seiner Kinder leben, und so blieben ihm
immer noch drei - also willigte er ein.
»Es ist ganz einfach«, sagte Sonne
lachend. »Du mußt sie erst
backen.«
»Backen?« fragte Erde erstaunt.
»Ja, natürlich. Durch die Hitze wird
erst das Leben in ihnen geweckt, und sie werden hart genug, um den
Strapazen der Welt zu trotzen.« Sonne
lächelte und fügte hinzu:
»Und es ist dein Glück,
daß du mich getroffen hast, denn ich besitze den
einzigen Ofen, der heiß genug werden
kann.«
»Dann laß mich deinen Ofen
benutzen!« bat Erde.
»Selbstverständlich«,
sagte Sonne. »Gerne werde ich das - wenn du mich ein
zweites von deinen Kindern haben
läßt.«
Erde fühlte sich betrogen und mußte
doch einwilligen: Denn er hatte keine andere Wahl, und zwei Kinder
waren immer noch besser als keines. So trug er vorsichtig die
Kinder zu Sonnes Backofen, eines nach dem anderen, und legte sie
hinein. Aber als er das vierte Kind trug, da stolperte er
über eine Wurzel, und das Kind fiel aus seinen
Händen und zerbrach. Bestürzt
schauten die beiden Götter auf das
Unglück, aber dann schluckte Erde nur und sagte:
»Nun, wenn es zerbrechen konnte, dann wird es nicht
gut genug gewesen sein, um zu leben.« So
würde ihm nun nur noch ein Kind bleiben, aber besser
als keines…
Sonne schloß die Tür des Ofens und
verriegelte sie und ließ alsdann seine Feuer mit aller
Macht darauf und darunter wirken, so daß im Inneren
des Ofens eine große Hitze entstand und die Kinder zum
Leben erwachten.
Erde wartete gespannt und mit angehaltenem Atem, daß
Sonne die Feuer wieder löschen und die Kinder
herauslassen möge, doch Sonne rührte
sich nicht.
»Wann ist es denn soweit?« fragte Erde
ängstlich.
Sonne winkte ab. »Noch nicht, noch lange
nicht.«
Erde warte weiter und fragte noch einmal, aber wieder antwortete
Sonne nur: »Warte nur, das braucht
Zeit.«
Doch Erde konnte die Kinder im Ofen schreien hören,
und er flehte Sonne an, die Feuer zu löschen und die
Kinder freizulassen.
Da stand Sonne auf, stellte sich vor ihn hin und sagte:
»Soll ich das? Ich werde es tun, aber nur, wenn du
versprichst, daß ich auch das Dritte haben
darf.«
Erde erschrak und erbleichte, als er begriff, daß
Sonne ihm eine Falle gestellt hatte, und antwortete nicht. Die drei
Kinder im Ofen aber schrieen immer lauter, daß selbst
das Zuhören schmerzte.
»Versprich es mir«, sagte Sonne leise,
»sonst lasse ich sie alle hier drinnen
verbrennen.«
Tränen liefen über Erdes Gesicht,
denn er hatte sich so sehr auf seine Kinder gefreut und wollte sie
nicht alle an Sonne verlieren, aber noch weniger wollte er,
daß sie verbrannten, und als er ihre Schreie nicht
mehr ertragen konnte und Sonne nur dastand und auf ihn
herabblickte, da ließ er sein Haupt sinken und
flüsterte: »Ja, ich verspreche es, du
darfst sie alle haben, aber laß sie nur frei aus
diesem entsetzlichen Ofen!«
Da lachte Sonne zufrieden auf und hatte im nächsten
Augenblick die Feuer gelöscht, den Riegel
gelöst und die Kinder aus dem Ofen gelassen. Da
standen sie nun und blickten sich erstaunt um: Das Erste, das nahe
bei der Tür gelegen hatte, war hellbraun, wie
gebrannter Lehm immer ist; das Zweite, aus der Mitte des Ofens, war
schwarzgebrannt, und das Dritte, das aus den Tiefe des Ofens kam,
war so weiß und bleich wie die älteste
Asche. Sie blickten von einem Gott zum anderen, als wollten sie
fragen: »Zu wem gehören
wir?«
Sonne lächelte die Kinder an, und er
lächelte Erde an und sagte: »Ich danke
dir für dieses wunderbare Geschenk,
für diese wunderbaren Kinder, aber nun kannst du
gehen.«
Und Erde schlich davon, fassungslos vor Wut und Schmerz und
Trauer. Sonne aber nahm seine Kinder und brachte sie, voll Stolz,
zu Mond.
»Was ist das?« fragte Mond.
»Das sind unsere Kinder«, sagte Sonne
glücklich. »Erde hat sie mir
geschenkt.«
»Geschenkt?« fragte Mond.
Da erzählte ihr Sonne von seiner List und war sehr
zufrieden mit sich selbst. Und Mond umarmte ihn und sprach:
»Das hast du gut gemacht, mein Mann. Aber siehst du es
nicht? Sie sind noch gar nicht fertig.«
»Nicht fertig?« fragte Sonne erstaunt.
»Nicht fertig? Das sind prächtige
Kinder!«
»Sie leben«, sagte Mond.
»Aber sie haben keine Seelen.«
Sonne blickte in die leeren Gesichter seiner Kinder und zuckte die
Schultern. »Wenn sie Seelen brauchen - dann gib ihnen
welche.«
Mond aber lächelte weise, und sie nahm das braune
Kind auf ihren Schoß,
küßte es und sprach: »Dein
Name soll Aandraya sein, Kind der Erde, denn aus Erde bist du
geschaffen, und Erde ist dein Vater.« Sie gab dem Kind
noch einen Klaps, und es nickte ihr dankbar zu und lief davon, um
Erde zu finden und sein Kind zu sein.
»Aber - was tust du da?« rief Sonne
entgeistert. »Was tust du mit meinem
Kind?«
Doch Mond achtete nicht auf ihn. Sie nahm das weiße
Kind, strich ihm über die ausgeblichenen Haare,
küßte es und sprach: »Dein
Name soll Ashûnya sein, Kind des Wassers, denn mit
Wasser wurdest du geschaffen, und am Wasser sollst du leben, auf
der anderen Seite des Meeres, denn du verträgst die
Hitze nicht und sollst weit fort von Sonne sein.«
Sonne starrte Mond an, unfähig, auch nur noch ein
Wort zu sagen, und er starrte das weiße Kind an, als
es lachend in Richtung Küste lief. Dann
schüttelte er den Kopf.
»Frau…«, murmelte er.
»Du bist von Sinnen! Du gibst all unsere Kinder
fort!«
Doch sie lächelte nur, schüttelte
das Haupt und schloß das schwarze Kind in die Arme,
küßte es und sprach: »Dein
Name soll EÃnya sein, Kind der Sterne, denn du bist
unser Kind und sollst zu uns
gehören.«
Und das Kind lächelte sie an und sagte:
»Mutter.« Dann wandte es den Kopf,
blickte Sonne an, und schwieg.
»Was hast du getan?« schrie Sonne.
»Du hast mir meine Kinder genommen!«
»Und du?« fragte Mond
kühl zurück. »Hast du
sie nicht Erde genommen, der sie mit Liebe gemacht
hat?«
Sonne schüttelte den Kopf und schwieg, die Lippen
zusammengekniffen. Mond sprach weiter: »Ich liebe
dich, Sonne, so wie du bist, aber ich werde dich niemals
ändern können. Vielleicht schaffen es
die Kinder, eines Tages. Bis dahin -«
Doch Sonne hörte ihr nicht mehr zu. Er stapfte davon,
Wut war in seinem Kopf und Groll in seinem Herzen. Er
zürnte Mond und allen anderen Göttern,
und er war einsam. Da kam er an seinen Ofen, und im verdorrten Gras
sah er die Reste des vierten Kindes liegen, des Kindes, das
zerbrochen war. Risse zogen sich durch den lehmenen
Körper, und ein Arm und ein Bein waren
abgebrochen.
Sonne kniete neben dem Kind nieder, versuchte die Risse wieder
zusammenzukneten, Arm und Bein zurück in den
Körper zu drücken. Es gelang ihm nicht,
die Spuren des Sturzes unsichtbar zu machen, aber trotzdem nahm
Sonne den Körper auf, so vorsichtig er nur konnte,
bettete ihn in den Ofen und schloß die
Tür.
Er entfachte die Feuer, und noch während sie
brannten, öffnete er noch zweimal die
Tür und sah nach dem Kind, daß es auch
nicht verbrennen würde.
Endlich nahm er es heraus; er schloß es in seine
Arme, küßte es auf die Stirn und
flüsterte: »Dein Name soll Nangeaya
sein, Kind der Sonne, du bist mein, und ich werde dich so sehr
lieben, wie ich keines der anderen jemals hätte
lieben können.«
Doch das Kind entwand sich seiner Umarmung; dort, wo er es
geküßt hatte, prangte ein Brandmal, und
Tränen des Schmerzes standen in seinen Augen. Es
sagte nichts, und Sonne wußte nicht, ob er
glücklich oder unglücklich sein
sollte - dieses Kind lebte, und es hatte eine Seele, doch es war
krumm und schief am ganzen Leibe, nicht schön wie die
anderen Kinder, und übersäht mit
Narben. Es war sein Kind, sein eigenes, und doch nannte es ihn
nicht Vater.
Sonne war niemals gleichgültig - was er auch tat,
ob er liebte oder haßte, er tat es mit
Leidenschaft… »Mein
Kind«, sagte er. »Fürchte
mich nicht!«
Doch da hörte er hinter sich ein Rufen. Er drehte
sich um, und dort, am Horizont stand Mond mit dem Sternenkind auf
dem Arm, und beide lachten und winkten ihm
zu…
Sonne beugte sich zu dem Kind hinunter. »Du wirst
immer das Kind der Sonne sein«, sagte er.
»Vergiß das nicht.« Dann
drehte er sich um und ging mit offenen Armen zu seiner Frau
zurück, und zu ihrem Kind. Ihrem gemeinsamen
Kind…
Nangeaya stand noch lange und schaute seinem Vater nach. Dann
lächelte es traurig, und ging seines
Weges.
Die Navigation fixieren · 
nicht fixieren (erfordert aktiviertes Javascript)
Diese Website wertet Statistiken aus mit Piwik.
© 2005 - 2010 by Maja Ilisch. All Rights Reserved.